Fantasy / Science-Fiction
14. Oktober 2006 Maren StraussSchreibe einen Kommentar
Die Reihe „Meister der Fantasy“ im |Ueberreuter|-Verlag verspricht Qualität. Schließlich werden hier auch die jeweiligen Gewinner des Wolfgang-Hohlbein-Preises verlegt. Katja Brandis‘ „Der Verrat der Feuer-Gilde“ muss also hohe Erwartungen erfüllen …
Bevor man den Inhalt des Buches erläutert, lohnt es sich, einen Blick auf das Land Daresh zu werfen, in dem die Geschichte spielt. Es ist eine bunte Fantasywelt mit magischen Geschöpfen, wie man sie ähnlich auch von der amerikanischen Fantasyautorin Tamora Pierce (u. a. „Die schwarze Stadt“) kennt. Da gibt es zum Beispiel Dathlas, echsenartige Reittiere, die sich bei Gefahr eingraben, und jede Menge so genannter Halbmenschen. Iltismenschen, Storchmenschen, Nattermenschen … Brandis fehlt es auf jeden Fall nicht an Fantasie.
Im Mittelpunkt des Buches stehen allerdings die vier Gilden – benannt nach den vier Elementen Feuer, Wasser, Erde, Luft -, in denen der Großteil der Bevölkerung organisiert ist. Jede Gilde lebt unter sich und ihre Mitglieder haben jeweils bestimmte Eigenschaften, die sie dazu benutzen können, um nach einer Lehre Meistertitel verschiedenen Grades zu erwerben.
Die fünfzehnjährige Rena ke Alaak gehört zur Erd-Gilde und macht gerade eine Ausbildung bei ihrem Onkel im Weißen Wald. Eines Tages nimmt er sie mit zur Felsenburg, in der die Regentin residiert, deren Regierungsstil nicht gerade beliebt ist bei der Bevölkerung. Sie unterdrückt ihre Untertanen, und anstatt dafür zu sorgen, dass die Gilden in Frieden zusammenleben, scheint sie deren Zwistigkeiten sogar noch zu unterstützen.
Als Rena einen Streifzug durch die Felsenburg unternimmt, wird sie von einer magischen Kraft in einen Raum gelockt, wo die „Quelle“ liegt, ein weißer, unscheinbarer Stein. Doch nachdem sie ihn berührt hat, verändert sich einiges. Die Iltismenschen, die gegen ihren Willen als Diener missbraucht werden, zetteln eine Revolte an und Rena versteht die Sprachen der Halbmenschen. Um für ihre Tat nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden, muss sie fliehen.
Auf ihrer Reise begegnet sie dem offenen Hass, den die einzelnen Gilden untereinander pflegen, und wird Zeugin mehrerer Gildenfehden. Um ihren lang gehegten Wunsch, Mitglied in der Feuergilde zu werden, zu erfüllen, wird sie Dienerin bei der raubeinigen Alix ke Tassos, die im Dienst ihres Rates den Spion finden soll, der die geheimen Formeln der Feuer-Gilde verbotenerweise an die Regentin weitergibt. Als ihre Mission misslingt, geht sie murrend auf Renas Vorschlag ein, vor den Räten der anderen Gilden vorzusprechen und um den Frieden zu bitten. Sie begeben sich auf eine lange Reise durch Daresh, die zuerst von Erfolg gekrönt ist, doch dann werden sie verraten …
Katja Brandis‘ Debüt ist von der ersten Seite an packend. Das hängt damit zusammen, dass sie auf einen langen, einleitenden Vorspann verzichtet und stattdessen Rena sofort ins Verderben schickt. Danach geht es Schlag auf Schlag, was dem Buch nur guttut. Es gibt kaum Verschnaufpausen. Im Gegenteil passiert am Ende so viel auf einmal, dass es beinahe ein wenig unübersichtlich wird. Doch ansonsten zieht sich ein schnurgerader Strang Spannung durch das Buch, wie man es gerne bei jedem sehen würde.
Ein weiterer, wichtiger Grund für den mitreißenden Charakter des ersten Bandes der „Kampf um Daresh“-Triologie ist das Zusammenspiel der beiden Hauptcharaktere Rena und Alix, die zehn Jahre Altersunterschied zwischen sich haben. Während Rena das leicht naive, aber dennoch entschlossene Mädchen in der Pubertät ist, mimt Alix die raubeinige Kämpferin mit eisernem Willen und feurigem Charakter. Gegensätze ziehen sich an und nachdem Alix ihre Dienerin am Anfang nicht wirklich ernst genommen hat, entwickelt sich eine Freundschaft zwischen den beiden.
Auch sonst spart Brandis nicht mit frischen Gesichtern. Eine ganze Fülle von Charakteren baut sie in ihre Geschichte ein und es ist ihr und dem Personenverzeichnis zu Gute zu halten, dass der Leser dadurch nicht verwirrt wird. Stattdessen beleben die Nebenpersonen den Roman ungemein und bringen beständig frischen Wind in die Angelegenheit. Es ist zwar nicht jede Person zu hundert Prozent perfekt ausgearbeitet, aber alle sind immerhin so gut erdacht, dass sie ihren eigenen Platz in der Geschichte haben.
Der Schreibstil ist solide, aber nicht herausragend, auch wenn Alix ein wenig trockenen Humor in die Dialoge bringt. Ansonsten erfüllen die Buchstaben ihren Zweck: Sie tragen die Geschichte und unterstützen deren packende Wirkung mit ihrer klaren, nüchternen Struktur. Anderweitig lassen sich wenig Eigenheiten ausmachen, jedoch auch keine negativen Punkte.
„Der Verrat der Feuer-Gilde“ ist ein Debüt, das sich sehen lassen kann. Figuren, Handlung und die Atmosphäre gefallen wirklich sehr, doch leider wirkt der Schreibstil recht beliebig, was verhindert, dass das Buch zur Crème de la crème gehören könnte.
http://www.piper.de
14. Oktober 2006 Michael DrewniokSchreibe einen Kommentar
Ein unvorsichtiger Privatforscher erweckt einen bösen Hexenmeister zum Leben. Der Schurke nimmt seine Stelle ein, um seinem blasphemischen Handwerk erneut nachzugehen, bis sich zwei beherzte Männer gegen das Grauen stellen … – Locker dem „Cthulhu“-Zyklus angehörend, erzählt Autor Lovecraft die bekannte aber spannende Geschichte vom Zauberlehrling, der nicht mehr los wird, was er gerufen hat. Die Geschichte enthüllt sich gekonnt pseudodokumentarisch aus alten Dokumenten, Berichten, Zeitungsartikeln etc., bis sie ihren Bogen im Finale in einem wahren Pandämonium vollendet.
H. P. Lovecraft – Der Fall Charles Dexter Ward weiterlesen →
Belletristik
13. Oktober 2006 Meike Schulte-MeyerSchreibe einen Kommentar
Bevor Joey Goebel für seinen Roman [„Vincent“ 1827 reichlich Applaus erntete, schrieb er bereits ein Drehbuch, das, umgeschrieben zum Roman „Freaks“, nun zu etwas verspäteter Ehre kommt. „Freaks“ ist ein Roman, der gleich mit dem ersten Satz bereits Punkte sammelt, steigt er doch mit einem der vermutlich besten Romananfänge der Literaturgeschichte in die Handlung ein: |“Leicht war es nicht, sechs Milliarden gebrochene Herzen auf einmal zu flicken, doch ich schaffte es.“| (S. 9)
Bei „Freaks“ ist der Name Programm. Die titelgebenden Freaks sind eine Band, zur der kaum ein Name besser passen dürfte als „The Freaks“. Eine bunter zusammengewürfelte Truppe dürfte man in noch keinem Probenraum der Welt gesehen haben.
Frontman und Sänger der Gruppe ist Luster, ein schwarzer Hobbyphilosoph und Möchtegern-Weltverbesserer. Aufgrund seiner schnellen Zunge und seines nie enden wollenden Redeschwalls sonderbaren Inhalts glauben die meisten Leute, er wäre durchgehend auf Drogen. Das mag auch schon deswegen naheliegen, weil seine Brüder stadtbekannte Dealer sind, hat mit der Realität aber nichts zu tun, denn Luster ist konsequent drogenfrei.
An den Drums sitzt die bildschöne, im Rollstuhl sitzende, 19jährige Aurora. Derzeit versucht sich die ehemalige Stripperin als Satanistin, was ihr permanentes Konfliktpotenzial in der ohnehin schon angekratzten Beziehung zu ihrem Vater, einem Pfarrer, liefert.
Gitarristin Opal zieht mit ihren 80 Jahren den Altersdurchschnitt der Band enorm nach oben. Sie will auf ihre alten Tage noch einmal richtig abrocken und fühlt sich eigentlich zu jung fürs Altersheim. Sie will noch mal richtig Spaß haben, ohne sich darum zu scheren, dass sie mit ihren Cowboystiefeln und dem Sex-Pistols-T-Shirt von den meisten Leuten ausgelacht wird.
Das krasse Gegenteil (zumindest dem Alter nach) ist Ember, die Bass spielt. Ember ist gerade einmal acht Jahre alt und damit kaum größer als ihre Bassgitarre. Auch Ember hat ein etwas gestörtes Verhältnis zu ihrer Umwelt, vor allem zu Eltern und Lehrern. Sie hasst alles und jeden, außer ihren Bandkollegen. Sie will alles sein, aber nicht süß.
Der fünfte im Bunde ist Ray, der Keyboarder. Ray ist ein irakischer Ex-Soldat, der sich nach Kentucky aufgemacht hat, um den amerikanischen Soldaten zu suchen, den er im ersten Golfkrieg verwundet hat. Ray will sich eigentlich nur entschuldigen, hat sich aber inzwischen so gut in Amerika eingelebt, dass er amerikanischer ist als so mancher Amerikaner.
Das Thema von „Freaks“ – eine kleine Band aus dem Mittleren Westen, die ihr Glück versucht – dürfte Joey Goebel aus persönlicher Erfahrung vertraut sein. Goebel, in Kentucky geboren, tourte früher mit seiner Punkrockband „The Mullets“ durch den Mittleren Westen.
Joey Goebel erzählt die Geschichte der Band aus ständig wechselnden Perspektiven. Jeder Absatz gibt in der Überschrift an, aus wessen Sicht er erzählt wird. Dabei werden auch vermeintliche Statisten zu Erzählern. Immer wieder lässt Goebel Außenstehende die Hauptfiguren beobachten – ein kleiner Kniff, um seine kuriosen Hauptfiguren auch immer wieder aus der Distanz betrachten zu können. Ihre Wirkung auf Außenstehende, ihr kurioser Eindruck, wenn sie zusammen einen Raum betreten, all das wird so besonders deutlich vermittelt.
Durch die ständigen perspektivischen Sprünge liegt dem Roman ein recht hohes Tempo zugrunde. Die Geschichte entwickelt sich mit einiger Dynamik und die perspektivischen Wechsel sorgen für eine gewisse Spannung. Teils bekommt man erst durch das Zusammensetzen der unterschiedlichen Beobachtungen und Gedanken ein vollständiges Bild der Geschehnisse, was den Reiz, der Geschichte weiter zu folgen, mit fortschreitender Seitenzahl erhöht.
Auf den ersten Blick mag „Freaks“ wie ein oberflächlicher Unterhaltungsroman erscheinen. Die Figuren wirken allesamt zu abgedreht, um realistisch zu erscheinen. Vielmehr polarisieren sie, stellen jeder für sich ein eigenes Extrem dar und erfordern auch beim Leser ein gewisses Maß an Toleranz. Wenn Goebel allerdings die Gedanken der unterschiedlichen Protagonisten schildert, dringt er tiefer in die Persönlichkeiten ein. Man kann zwar dennoch nicht gerade sagen, man würde in die Figuren eintauchen und mit ihnen fühlen können, dennoch macht Goebel ihre Motive und Gedanken größtenteils recht gut deutlich.
Das alles reicht verständlicherweise noch nicht für einen überragenden Roman, aber es gibt da noch die sprachliche Komponente, die Joey Goebel besonders auszeichnet. Auch sprachlich legt Goebel ein recht hohes Tempo vor. Er formuliert vor allem aber gewitzt und mit einer gewissen Ironie. Der Humor geht dabei gar nicht so sehr auf Kosten der Protagonisten, wie man mit Blick auf ihr Erscheinungsbild meinen möchte, sondern mehr auf Kosten ihrer Umwelt. Immer wieder kann man über komische Situationen und sonderbare Gespräche schmunzeln, die stets auch ein Stück weit den Geist der Zeit einfangen und die gesellschaftliche Situation portraitieren. Und darüber mag man den Protagonisten so manche Abgedrehtheit verzeihen.
Verglichen mit „Vincent“ wirkt „Freaks“ dennoch nicht ganz so ausgereift. Man merkt deutlich, dass „Freaks“ dem Ursprung nach ein etwas älteres Werk ist. Mit „Vincent“ hat Goebel sich schon erheblich weiterentwickelt. Mag manches an „Freaks“ noch etwas kindisch wirken, auch wenn Goebels Talent zwischendurch immer wieder zwischen den Zeilen hindurchfunkelt, so wirkt „Vincent“ eben schon ein ganzes Stück ausgegorener und zeigt wesentlich deutlicher als „Freaks“, dass Goebel ein ernstzunehmender und talentierter Autor ist, der großartige Ideen hat und diese sprachlich gelungen umsetzen kann.
Bleibt unterm Strich der Eindruck, dass „Freaks“ gegenüber „Vincent“ etwas schwächer daherkommt. Man merkt bei der Lektüre sehr schnell, dass es sich um ein früheres, nicht ganz so ausgereiftes Werk des Autors handelt. Dennoch weiß der Roman zu unterhalten. Die Figuren sind interessant, wenngleich ziemlich abgedreht, Goebels Sprache ist gewitzt und sein Erzählstil temporeich und voller spannungssteigernder Perspektivenwechsel. Alles in allem also durchaus gute Unterhaltung, obwohl man weiß, dass Goebel es eigentlich noch besser kann.
http://www.diogenes.de
13. Oktober 2006 Michael DrewniokSchreibe einen Kommentar
Ein perverser Kindermörder sorgt in der schottischen Stadt Aberdeen für Aufruhr. Polizist McRae ermittelt im verzweifelten Wettlauf mit der Zeit, denn der Täter wird wieder töten, während zornige Bürger zur Selbsthilfe bzw. Hexenjagd rüsten … – Auf den Spuren von Ian Rankin wandelt Stuart MacBride, der die Ekelschraube noch ein wenig schärfer anzieht als sein ‚Kollege‘ und einen zwar nicht originellen aber sauber geplotteten, spannend und mit trockenem Witz erzählten, atmosphärisch dichten und somit lesenswerten „Tartan Noir“-Thriller als Start einer neuen Reihe vorlegt.
Das geschieht:
Nach krankheitsbedingter Arbeitspause kehrt Detective Sergeant Logan McRae in den Dienst der Grampian Police im ostschottischen Aberdeen zurück. Bereits am ersten Tag muss er einen grausigen Mordfall übernehmen: In einem Graben fand man den Körper des erst dreijährigen David Reid. Seit drei Monaten wurde das Kind vermisst. Sein Mörder hat ihn erdrosselt. Schlimmer noch: Er ist offensichtlich zur Leiche zurückgekehrt und hat sich „Souvenirs“ abgeschnitten.
Wie sein Chef, der aufbrausende Detective Inspector Insch, schließt McRae aus dem planvollen Vorgehen des Mörders, dass David womöglich nicht dessen erstes Opfer ist. Außerdem ist davon auszugehen, dass er seine kranke Fantasie an einem weiteren Kind ausleben wird. Und tatsächlich verschwindet kurz darauf der fünfjährige Richard Erskine. Die schlimmsten Befürchtungen scheinen sich zu bewahrheiten, als auf einer Müllhalde eine Kinderleiche gefunden wird. Allerdings handelt es sich um den Körper eines drei- oder vierjährigen Mädchens, das niemand als vermisst gemeldet hat.
Alle Beamten der Grampian Police ermitteln intensiv in diesen Fällen von Mord und Entführung. Die Öffentlichkeit ist aufgestört, die Medien fachen den die Auflage stärkenden Volkszorn gezielt an. Auch die Politik wird aufmerksam und setzt Insch und seine Leute publicitywirksam unter Druck. McRae muss sich nicht nur um die unbekannte Kinderleiche kümmern. Man überträgt ihm auch einen Mordfall, dessen Opfer man ohne Kniescheiben aus dem Hafenbecken gezogen hat. Es handelt sich um einen engen ‚Mitarbeiter‘ des Gangsters Malcolm McLennan, genannt „Malk the Knife“, der aus Edinburgh in die Unterwelt von Aberdeen drängt. Es wird eng für die Polizei. Immer neue Verdächtige tauchen für alle Fälle auf. Nur langsam klärt sich das Durcheinander; es verschafft dem Kidnapper die Zeit, sich ein weiteres Kind zu schnappen …
Tartan Noir – etwas grobmaschiger
Breit ist der Schatten, den Ian Rankin als Krimiautor über Schottland wirft. Seit er den unvergleichlichen Inspektor John Rebus in ebenso tragische wie bizarre Fälle verwickelt, hat sich für diese nordenglische Variante des Thrillers sogar ein eigener Genrebegriff namens „Tartan Noir“ eingebürgert. Er beschreibt sehr gut ein bestimmtes literarisches Webmuster, das Rankin vorbildhaft vorexerzierte: Düstere Mordfälle geschehen in einer rauen (Stadt-) Landschaft, die von ebensolchen Bewohnern bevölkert wird. Die Stimmungs-Tonart ist (wie das Wetter) Moll, wobei die „skandinavische Tristesse“, die spätestens seit den Wallander-Romanen des Henning Mankell als Markenzeichen für den sozialkritischen europäischen Krimi der Gegenwart gilt, durch einen ruppigen, trockenen Humor angenehm gebrochen wird: Die Welt ist schlecht, aber das muss uns nicht auch noch den Leseabend verderben!
Nun tritt Stuart MacBride in Rankins Fußstapfen – die Parallelen sind unübersehbar. Sie werden vom Verfasser auch gar nicht geleugnet, sondern in einem hübschen In-Joke auf S. 421 angesprochen. „Die dunklen Wasser von Aberdeen“ liest sich wie ein Rebus-Roman, was zunächst einmal als Lob zu verstehen ist. Der Plot ist angenehm vertrackt und wird sauber entwickelt, die Ermittlungen sind spannend geschildert, die Schauplätze plastisch beschrieben, die Figuren wirken lebendig.
Und doch ist da zweierlei, das irritiert. Die Übereinstimmung zwischen Rankin und MacBride ist manchmal allzu auffällig; man spricht nicht nur dieselbe Sprache, sondern auch mit derselben Zunge, wobei Rankin ‚unverdächtig‘ dasteht – John Rebus ermittelt schon seit den 1990er Jahren. (Der deutsche Goldmann Verlag unterstreicht die ‚Verwandtschaft‘ übrigens durch eine Buchgestaltung, die sich eng an die der Rankin-Bestseller anlehnt; hier sollen Leser ‚umgeleitet‘ werden.)
Brachiale Taten, gebeutelte ‚Helden‘
Zweitens missvergnügt MacBrides Versuch, sich durch noch größere Originalität in der Schilderung perverser Gewaltverbrechen zu etablieren. Der Autor setzt hier auf ein Mehr an Blut, Verwesung und Pathologen-Gemetzel. Gleichzeitig nagt er wie ein politisch unkorrekter Biber am ohnehin morschen Stamm eines Tabus: Er lässt seinen Serienmörder auf kleine Kinder los, die er als Opfer unter getreuer Schilderung aller grässlichen Details quasi instrumentalisiert. Dies wäre nicht nötig; ein Irrer, der sich an Erwachsenen vergreift, hätte es genauso getan. MacBride setzt hier unverhohlen auf den unvergleichlichen Schrecken, den das Kapitalverbrechen am ‚unschuldigen‘ Kind auslöst; ein Trick, den man übel nimmt, weil es kalkuliert wirkt.
Ist Logan McRae ein bisher unbekannt gebliebener Bruder von John Rebus? Auch hier sind die Ähnlichkeiten frappant, nur dass das Geschick dem Kollegen aus Aberdeen deutlich heftiger mitgespielt hat – ein weiteres „Mehr“, aber nicht unbedingt „Besser“, das MacBride seinem Helden angedeihen lässt. McRae ist ganz genretypisch ein guter Polizist, was von den bornierten Vorgesetzten natürlich nicht zur Kenntnis genommen wird, dazu ein sperriger Charakter, von Natur aus sogar für einen Schotten ein wenig eigenbrötlerisch, und die Kollegen meiden ihn fast abergläubisch, seit ihn – jetzt dreht MacBride mächtig an der Schicksalsschraube – ein 15-facher Frauenmörder bei einem Kampf auf Leben & Tod mit dem Messer beinahe ausweidete. „Lazarus“ nennt man ihn nun im Revier, ist er doch dem Sensenmann nur knapp entronnen und muss für den Rest seines Lebens mit Narben und Schmerzen leben.
Privat sieht es auch nicht rosig aus. Natürlich – auch hier regiert das Klischee – hat ihn die Freundin verlassen, die ihm indes – Stoff für allerhand zukünftige Verwicklungen ist garantiert – als Arbeitskollegin verbunden bleibt. McRae bläst nach Feierabend ordentlich Trübsal, schaut zu tief in die Flasche, verstrickt sich ungeschickt in perspektivenlose Liebeshändel. Glücklicherweise ist Constable Watson, McRaes Partnerin, recht bodenständig. Sie erdet den manchmal allzu sehr von seiner Inspiration mitgerissenen McRae und vermittelt darüber hinaus dem Leser pflichtschuldig die übliche Palette chauvinistischer Ungerechtigkeiten, denen auch die Polizeibeamtin von Heute ausgesetzt ist.
Debüt als Petrischale
McRaes Vorgesetzter bleibt eine prägnante Nebenrolle als großer Exzentriker. Detective Inspector Insch ist ein poltriger Dickwanst, der pausenlos Gummibärchen, Lakritz und anderen Geleekram mampft. Selbstverständlich verbirgt sich hinter dieser Fassade nicht nur ein wacher Verstand, sondern auch ein mitfühlendes Herz, sodass McRae und Insch sich in jenen Ritualen ergehen können, die in einer wahren Männerfreundschaft sentimentale Sympathiebekundungen ersetzen.
MacBride besetzt viele Rollen seines Krimis geschickt mit überzeichneten Figuren. Hart an der Grenze zum Klischee agieren abgebrühte Polizisten, wüste Ganoven, dreiste Reporter. In der doch sehr düsteren Geschichte sorgen trockene Wortwitze für notwendige humoristische Momente, ohne dadurch den Plot zu unterminieren. In diesem Punkt kann MacBride Ian Rankin übrigens mühelos das Wasser reichen, so dass der Kreis sich schließt: Dieser „Tartan Noir“ kann empfohlen werden, auch wenn er direkt am Webstuhl neben dem Original entstanden ist.
Ein Blick in die Zukunft sei an dieser Stelle gestattet: Rasch emanzipierte sich der Autor von seinem Vorbild. Die Logan-McRae-Serie fand ihr Publikum und wird bis heute regelmäßig fortgesetzt. Dabei hat MacBride seinen eigenen Weg gefunden. Die Routinen des Polizeialltags wichen mehr und mehr dem alltäglichen Irrsinn. Immer abgedrehter wurden die Figuren. MacBride wich vom Konzept des zentralen Falls ab und ließ seine Romane immer episodischer ablaufen. Im Finale werden die Fäden zusammengefasst. McRae ist wesentlich umgänglicher geworden, und seine Verletzung findet kaum mehr Erwähnung. Obwohl Krimi-Puristen murren, kann diesen Romanen weder Spannung noch Unterhaltungswert abgesprochen werden: Logan McRae hat sich freigeschwommen, und wie es aussieht, wird er den Kopf noch eine ganze Weile über den Wasser von Aberdeen & Co. halten können!
Autor
Stuart MacBride wurde am 27. Februar 1969 im schottischen Dumbarton geboren. Die Familie zog wenig später nach Aberdeen um, wo Stuart aufwuchs und zur Schule ging. Studiert hat er an der University in Edinburgh, die er indes verließ, um sich in verschiedenen Jobs (Designer, Schauspieler, Sprecher usw.) zu versuchen. Nach seiner Heirat begann MacBride Websites zu erstellen, stieg bis zum Webmanager auf, stieg in die Programmierung ein und betätigte sich in weiteren Bereichen der Neuen Medien.
Stuart MacBride lebt heute wieder in Aberdeen. Über Leben und Werk informiert er auf seiner Website, die er um einen Autorenblog sowie eigene Kurzgeschichten erweitert hat.
Taschenbuch: 544 Seiten
Originaltitel: Cold Granite (London : HarperCollins UK 2005)
Deutsche Erstausgabe: Oktober 2006 (Wilhelm Goldmann Verlag/TB Nr. 46165)
Übersetzung: Andreas Jäger
eBook: 1310 KB
ISBN-13: 978-3-641-12238-6
http://www.randomhouse.de/goldmann
Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt:
(4 Stimmen, Durchschnitt: 1,50 von 5)
13. Oktober 2006 Eva SchusterSchreibe einen Kommentar
Rose Fell ist Anfang vierzig, als ihr Mann sie wegen einer jüngeren Frau verlässt. Während er seine neue Freundin heiratet, bricht für Rose eine Welt zusammen. Um wieder auf die Beine zu kommen, beschließt sie, ein radikal neues Leben zu beginnen. Sie verlässt England und kauft sich ein kleines Haus an der ligurischen Küste. In der Abgelegenheit eines ländlichen Dorfes richtet sie sich ihr neues Zuhause ein und geht ihrem Beruf als freie Journalistin nach. Doch die Eingewöhnung fällt nicht leicht. Für die überwiegend älteren Dorfbewohner bleibt sie eine Außenseiterin, eine Ausländerin mit fremder Kleidung und fremden Einstellungen. Ihre Tochter Jess lebt ein Studentenleben und meldet sich nur selten, die alten Freunde kommen sie nicht besuchen. Nur der wortkarge Gennaro, der im Dorf kaum weniger als Außenseiter gilt als sie, sucht ihren Kontakt. Rose droht zu vereinsamen, ehe sie per Zufall den reichen und attraktiven Engländer Richard Bourn kennenlernt.
Unweit von Rose lebt die einstige Leinwandschönheit Elvira Vitale, von den Bewohnern wegen ihrer früheren Ehe mit einem Grafen „Contessa“ genannt. Vor vielen Jahren war sie ein gefeierter Star, doch heute lebt sie zurückgezogen mit ihrem Mann Jack auf ihrem Anwesen. Während Elvira unter ihrem Alter leidet, vergnügt sich ihr Mann auf Partys mit jüngeren Frauen. Als Rose davon erfährt, dass Elvira in ihrer Nähe wohnt, hofft sie auf ein Interview mit der Diva. Ein Regisseur, den sie aus einer früheren Zusammenarbeit kennt, soll Elvira eine Empfehlung über Rose vermitteln.
Gerade als Rose sich einzuleben beginnt, erschüttert ein Mordfall das Dorf. Am Strand wird die Leiche einer jungen Frau gefunden, die erst erwürgt und dann aus einem fahrenden Zug geworfen wurde. Der ermittelnde Commissario Cirri erinnert sich an den Mord an einer Prostituierten im vergangenen Jahr, der bis heute nicht geklärt wurde. Besteht etwa ein Zusammenhang? Auch die Bevölkerung zeigt Unruhe, im Dorf wird viel geredet. Rose reagiert vorsichtig auf Richard Bourns Einladungen, obwohl sie sich zu dem interessanten Mann hingezogen fühlt. Elviras Haushälterin, die junge Ania, verschwindet in diesen Tagen und die Contessa erstattet eine Vermisstenanzeige. Nach und nach kreuzen sich die Wege der beiden Frauen Rose und Elvira, trotz ihrer unterschiedlichen Schicksale …
|Interessante Charaktere|
Das malerische Ambiente der italienischen Küstenstadt Levanto bildet den trügerisch-idyllischen Schauplatz für eine Mixtur aus Krimi und Frauenroman. Im Mittelpunkt steht die knapp vierzigjährige Rose, die misstrauisch beäugte Ausländerin, die sich fern von ihrer Heimat England ein neues Leben aufbaut. Die ganze Handlung über bleibt Rose eine sympathische Bezugsperson für den Leser.
Dafür ist vor allem die Ausgewogenheit ihres Charakters verantwortlich: Einerseits fühlt man mit der verlassenen Frau, die weder Familie noch Freunde in ihrer Umgebung hat und auch nach einem Jahr noch verletzt und deprimiert an ihre gescheiterte Ehe zurückdenkt. Andererseits aber präsentiert sie sich als Kämpfernatur, trotzt der Ablehnung, die ihr in Italien entgegenschlägt, und bemüht sich beharrlich darum, endlich den Touristinnen-Status unter den Einwohnern abzulegen.
Ihre Unsicherheiten sind glaubhaft geschildert; die Einsamkeit hat Rose sichtlich vorsichtig gemacht. Sowohl gegenüber dem charmanten Richard als auch gegenüber ihrem entfernten Nachbarn Gennaro wahrt sie Distanz, grübelt über deren Absichten nach, schwankt zwischen Freude über die Zuwendung und Zurückhaltung. Unsicherheit kennzeichnet auch den ehemaligen Filmstar Elvira Vitale, eine fast gebrochene Frau, deren Mann sie mit Tabletten ruhigstellt und sie gerne in der Öffentlichkeit blamiert. So verschieden Rose und Elvira auf den ersten Blick auch sind, ihre Empfindungen gleichen sich und man erwartet gespannt ihr erstes Zusammentreffen.
Ebenfalls gelungen und interessant sind die Nebencharaktere, die in den Leben der beiden Frauen eine Rolle spielen. Da ist der undurchschaubare Richard Bourn, den Rose von Beginn an anziehend findet und bei dem sie doch Vorsicht walten lässt. Eine erste Einladung schlägt sie aus, recherchiert lieber zunächst im Internet über den wohlhabenden Engländer, den eine dunkle Vergangenheit einzuhüllen scheint. Da ist der mysteriöse Gennaro, immer freundlich und zuvorkommend gegenüber Rose, aber gleichzeitig auf eine subtile Art zu aufdringlich in ihren Augen. Auch Commissario Cirri ist mehr als der formelle Ermittler, sondern eine mitfühlende Person mit menschlicher Wärme, der sich mit Gespür und scharfer Logik immer weiter an den Mörder herantastet.
|Psychogramm und Krimi|
Auch wenn schon recht bald am Anfang der Mord geschieht, steht vor allem in der ersten Hälfte weniger die Kriminalistik im Vordergrund. Stattdessen präsentiert sich dem Leser ein Psychogramm zweier Frauen, die, jede auf ihre eigene Weise, unter Vereinsamung leiden und ihrem Leben dringend eine neue Wendung geben müssen. Beiden Frauen wünscht man Erfolg bei ihren Bemühungen, sodass die Mördersuche phasenweise in den Hintergrund tritt. Ihre Schicksale sind ein zusätzlicher Interessenpunkt, auf eigene Art ebenso spannend wie die Frage nach dem Täter und geschickt miteinander verwoben.
Obwohl die Autorin im Vorwort erklärt, dass Roses Heimatdorf Grosso fiktiver Natur ist, entsteht beim Leser ein detailliertes Bild dieses beschaulichen Örtchens. Genau wie Rose empfindet man die beruhigende Idylle dieses Schauplatzes, parallel dazu aber auch die Fremdheit, die von der italienischen Mentalität ausgeht. Auf der einen Seite stehen gemütliche Wärme, wilde Natur, ungestörte Ruhe und ein enttechnologisiertes Leben, auf der anderen Seite lähmende Hitze, misstrauische Nachbarn, tuschelnde Dorfbewohner, ungewohnte Sitten und Einsamkeit. Noch nach einem Jahr tritt Rose in Fettnäpfchen, was die italienische Lebensart angeht, und alle Schönheit des Ortes täuscht nicht darüber hinweg, dass sich Rose ihr Paradies hier erst verdienen muss.
In dieser scheinbar friedfertigen Umgebung wirken die grausamen Morde besonders grotesk. Für die Einwohner kommt nur ein Durchreisender, ein Ausländer, als Täter in Frage, doch die Ermittlungen legen nahe, dass sich bereits seit langer Zeit ein Wolf im Schafspelz unter den Einheimischen aufhält und nicht zum ersten oder letzten Mal seinen Morden nachgegangen ist …
|Kleine Schwächen|
Gerade in der Mischung aus Frauenroman und Krimi liegen leider auch strukturelle Schwächen des Romans. Vor allem im ersten Drittel liegt der Spannungsfaktor noch sehr niedrig. Das hat seine Ursache zum einen in den zu ausführlichen Beschreibungen, die das Lesetempo deutlich verlangsamen. Bereits die ersten zwei Seiten bestehen fast ausschließlich aus Ortsschilderungen. Minutiös wird die Lage des Dorfes geschildert, anschaulich genug für einen Reiseprospekt, aber viel zu ausufernd für einen Roman, der möglichst von Beginn an fesseln sollte.
Auch im weiteren Verlauf wird immer wieder in dieser Ausführlichkeit auf Nebensächlichkeiten eingegangen, die zwar den poetischen Leser angenehm einlullen mögen, gerade die Krimihandlung jedoch zum Stagnieren bringen.
Zum anderen übertreibt es die Autorin mit Szenenwechseln und einer Fülle von Handlungssträngen. Die Geschichte spielt hauptsächlich bei Rose und an zweiter Stelle bei Elvira, doch auch zum Familienleben des Commissario und zum Schicksal der entführten Ania wird immer wieder übergeblendet. Bei zahlreichen neuen Absätzen ist nicht sofort klar ersichtlich, an welchem Schauplatz die Handlung gerade stattfindet, sodass man sich erst ein paar Sätze lang einlesen muss, ehe die Situation geklärt wird.
Lobenswerterweise laufen alle Handlungsfäden am Schluss zusammen, ohne wichtige offene Fragen zu hinterlassen, doch bis dahin erfordern die vielen Schicksale, die zunächst gar nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, eine gewisse Konzentration.
_Unterm Strich_ bleibt ein lesenswerter Krimi, der gleichzeitig auch die Schicksale zweier Frauen behandelt. Interessante Charaktere lassen den Leser von Beginn an mitfühlen, die Spannung stellt sich jedoch erst im späteren Verlauf ein. Trotz einer leicht überbordenden Fülle an Handlungssträngen und Szenenwechseln ein lesenswerter Roman, der vor allem Frauen anspricht.
_Die Autorin_ Christobel Kent wurde 1962 in London geboren, wohnte zeitweise in Florenz und lebt heute mit ihrer Familie in Cambridge. 2003 erschien ihr Debütroman „A Party In San Niccolo“.
Hörspiele / Hörbücher
13. Oktober 2006 Björn BackesSchreibe einen Kommentar
_Besetzung_
Erzähler – Hans Paetsch
Robin Hood – Rudolf H. Herget
Graf Locksley – Herbert A. E. Böhme
Bruder Tuck – Horst Beck
Little John – Michael Weckler
Guy von Gispert – Christoph Rudolf
Wirtin – Katharina Brauren
Sheriff – Claus Wagener
Sänger Alan – Konrad Halver
Prinz Johann – Peter von Schultz
Richard Löwenherz – Edgar Maschmann
Regie: Heikedine Körting
_Story_
Während König Richard Löwenherz zu den Kreuzzügen ins Heilige Land aufgebrochen ist, häufen sich in seiner Heimat die Missstände. Der Sheriff von Nottingham hat das Zepter in die Hand genommen und sieht sich schon als künftigen König. Ohne jegliche Bestimmung regiert der normannische Anführer das Land und quält diejenigen Einwohner, die sich seinem Machtstreben widersetzen. Einer von ihnen ist der junge Robin von Loxley, der dem Sheriff zum ersten Mal „ins Auge sticht“, als er eine kleine Garnison seiner Männer im Wald überwältigt.
Kurzerhand wird der stolze Betrag von einhundert britischen Pfund auf Robins Kopf ausgesetzt, um dem Burschen sofort den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch Robin ist flinker, so dass man stattdessen das Anwesen seines Vaters angreift, der dabei ums Leben kommt. Von diesem Punkt an schwört der junge Loxley Rache.
Im Sherwood Forest findet er neue Verbündete, mit denen er permanent die Schergen des Sheriffs beraubt, und wird so zum größten Erzfeind des inoffiziellen Machthabers. Ständig ist der mit Pfeil und Bogen bewaffnete, schmächtige Mann aus dem Wald den Häschern und Jägern seines Gegners einen Schritt voraus und bringt den gemeinen Sheriff dabei fast zur Weißglut. Doch werden Robin und seine Gefolgsleute den Normannen auch so lange standhalten können, bis der König von den Kreuzzügen zurückkehrt? Als dem berüchtigten Anführer der sächsischen Aufrührer die öffentliche Hinrichtung droht, sieht es nämlich gar nicht mehr so gut aus …
_Meine Meinung_
Die Geschichte von „Robin Hood“ ist eigentlich hinlänglich bekannt und wurde auch gleich mehrmals verfilmt. Die bekannteste Adaption ist sicherlich das Werk „Robin Hood – König der Diebe“ mit einem damals noch absolut überzeugenden Kevin Costner in der Hauptrolle. Aber auch im Trickfilmbereich ist der junge Bogenschütze aus dem Sherwood Forest längst kein Unbekannter mehr und begeistert schon seit mehreren Generationen ein junges Publikum.
Eine ganze Weile vorher gab es „Robin Hood“ auch schon als Hörspiel beim |Europa|-Verlag, genauer gesagt im Jahre 1971. Und genauso wie die vielen verschiedenen Fassungen dieser legendären Geschichte aus dem Großbritannien zu Zeiten der Kreuzzüge, so setzt auch dieses Hörspiel, welches unlängst in der Reihe „Europa – Die Originale“ neu aufgelegt wurde, andere Schwerpunkte. Vor allem die Vorgeschichte und Robins Ambitionen, als Hüter der Gerechtigkeit aufzutreten, werden hier etwas ausführlicher beleuchtet, jedoch auch anders dargestellt. Wird der junge Loxley an anderer Stelle selber noch als Ritter des Königs beschrieben, so wird er hier als vorlauter Jüngling, der noch unter der Obhut seines Vaters lebt, vorgestellt. Und Letztgenannter kommt dementsprechend auch noch zu Wort und empfiehlt seinem Sohn, sich schnellstens von seinem Anwesen zu entfernen, denn er ahnt schon, dass sein erster unfreundlicher Kontakt mit den Bekannten des Sheriffs schlimme Folgen haben wird.
Natürlich aber nimmt die Geschichte erst richtig Fahrt auf, als Robin sich nach dem Tod seines Vaters gemeinsam mit Bruder Tuc und Little John gegen den offensichtlichen Feind ihres geliebten Königs stellt und diesen mit vielen Verbündeten mehr als nur einmal ärgert. Selbst die gemeinen Meuchelmörder, die man auf ihn ansetzt, kann Robin problemlos überwältigen, und wenn er selber dann mal in die Bredouille gerät, helfen ihm seine Freunde aus dem Wald, die für ihren jungen Anführer stets ihr Leben lassen würden. Und so sorgt Loxley nicht nur im Sherwood Forest, sondern nach einiger Zeit schon in ganz England für Aufsehen – und wird nicht nur innerhalb der eigenen Landesgrenzen, sondern auch im Heiligen Land, wo sein König schon seit Jahren im Krieg steht, zur Legende.
Im Gegensatz zum Kinospektakel aus den Neunzigern, welches ja zu einem wesentlichen Teil auch auf den Action-Szenen beruhte, setzt das klassische Hörspiel in erster Linie auf Humor und zielt so vornehmlich auf ein jugendliches Publikum, bietet aber andererseits auch schöne Unterhaltung für die gesamte Familie – was sicherlich in dieser Form auch bezweckt war. Und das Ganze macht auch wirklich sehr viel Spaß, denn die Sprecher erledigen einen hervorragenden Job, die kurzen Musikstücke passen sich dem Geschehen wunderbar an und die Geschichte ist trotz einer Spielzeit von gerade einmal 35 Minuten wirklich sehr schön und spannend aufgebaut. Lediglich die für Hörspiele gar nicht so unübliche Tatsache, dass jede Aktion von den beistehenden Personen etwas aufgesetzt erstaunt beschrieben wird, sprich das nicht Sichtbare, jedoch Offensichtliche noch einmal großartig in Worte gekleidet wird, gerät etwas störend. Aber im Großen und Ganzen geht auch das in Ordnung.
Letztendlich wird der Klassiker seinem Status so auch vollends gerecht. Hinzukommt, dass die Hörspiel-Fassung einen sehr eigenständigen Ansatz verfolgt und viele Hintergründe dieser Geschichte, bewusst oder unbewusst, von einer anderen, sehr interessanten Seite beleuchtet. Insofern ist „Robin Hood“ auch ein würdiger Abschluss der zweiten Staffel von „Europa – Die Originale“ und auch in der Kürze der Zeit ein absolutes Hörvergnügen.
http://www.natuerlichvoneuropa.de/
Fantasy / Science-Fiction
12. Oktober 2006 Birgit LutzSchreibe einen Kommentar
Liath hat gerade ihre Prüfung bestanden und ihre [Triskele]http://de.wikipedia.org/wiki/Triskele erhalten. Als sie jedoch helfen soll, einen verletzten jungen Mann zu heilen, versagt sie kläglich. Zutiefst erschrocken über diese Blockade, macht Liath sich zusammen mit einem Boten der Ennead auf den Weg zur Feste. Sie hofft, dass die Ennead, die obersten Magier Eiden Myrs, ihr helfen können. Aber auch ihnen gelingt es nicht, die Blockade zu durchbrechen! Deshalb schicken sie Liath auf die Suche nach Torrin, dem Magier mit dem hellsten, mächtigsten Licht. Nur mit Hilfe seiner Macht, so sagen sie, kann Liath geheilt werden. Die Suche ist allerdings eine gefährliche Angelegenheit, denn Torrin ist ein Schwarzmagier und wird Liath nicht freiwillig in die Feste folgen. Dennoch macht Liath sich auf den Weg. Schon bald muss sie feststellen, dass die wirkliche Gefahr nicht dort lauert, wo sie diese erwartet …
Liath ist nicht unbedingt naiv. Aber aufgrund ihrer Erziehung zur Illuminatorin ist sie fest verankert in der Weltsicht und Lebensweise, die Eiden Myr seit Jahrhunderten prägen. Deshalb, und weil man sie vor der versilberten Zunge des Schwarzmagiers gewarnt hat, wehrt sie sich mit aller Macht dagegen, sich „umdrehen“ zu lassen. Dennoch geht ihre Wanderschaft nicht spurlos an ihr vorüber. Obwohl sie das Töten verabscheut, erlernt sie den Schwertkampf. Um zu überleben, lernt sie zu lügen. Am Ende des Buches, nach vielen Verlusten und grausamen Schmerzen, ist sie eine ernüchterte und vernarbte Frau.
Heff, ihr Wandergefährte, ist bereits vor ihr gezeichnet. Ein Brand hat ihn entstellt, er kann nicht mehr sprechen. Liath scheint die Einzige zu sein, die seine Gesten versteht. Heff beschließt, sie zu beschützen, und folgt ihr überall hin. Nur die Feste der Ennead betritt er nicht. Er ist ein schweigsamer, ernsthafter Mann mit einem tiefen Gespür für die Erde, auf der er geht, für Pflanzen und Tiere. Erdweisheit nennt Liath diese Fähigkeit.
Torrin dagegen ist ein zerissener Mann. Er beschäftigt sich mit Schriften, die nicht für Beschwörungen gebraucht werden und sich folglich nicht in der Magie auflösen, sondern dauerhaft sind! Er bringt Kindern das Lesen bei, ganz gleich, ob sie ein magisches Licht besitzen oder nicht, und das, obwohl diese Kunst den Wortschmieden vorbehalten ist! Aber er ist nicht von der Überzeugung abzubringen, dass er das Richtige tut. Man könnte ihn als Ketzer bezeichnen.
Das Buch bietet noch eine wahre Fülle weiterer Charaktere, die jedoch eher am Rande mitlaufen, als dass sie detailliert ausgearbeitet wären. Auch die Charakterzeichnung der drei Hauptpersonen geht nur bei Liath weiter in die Tiefe. Heff und Torrin bleiben eher blass. So erfährt man zum Beispiel nicht, warum Heff die Magie so sehr ablehnt, oder welche Erfahrungen und Geschehnisse dazu führten, dass Torrin sein Licht abschirmt. Die Autorin lässt ihre Protagonisten diese Themen zwar anschneiden, gibt aber niemals konkrete Antworten. Dadurch wirken viele Passagen diffus und nebelhaft, lassen sich nicht recht fassen. Auf der anderen Seite gelingt es ihr hervorragend, im Laufe der Zeit die Motive der einzelnen Ennead herauszuarbeiten.
Abgesehen von der diffusen Charakterzeichnung der Hauptakteure trägt auch die massive Anzahl an Personen, die im Grunde nicht wirklich wichtig sind, zu Verwirrung bei. Vor allem am Anfang wird der Leser mit einer regelrechten Flut an Namen und Begriffen überschwemmt. Im besten Fall wird im Zusammenhang mit einem Namen beiläufig der Beruf der Person erwähnt. Trotz meines guten Namensgedächtnisses hatte ich massive Schwierigkeiten, die Leute auseinander zu halten. Die Spezialbegriffe im Zusammenhang mit Magie und der Hierarchie der Magier in der Feste muss der Leser erst durch Geduld und Ausdauer im Laufe des Textes zuordnen. Es sei denn, er stößt zufällig auf das Glossar, das irgendwo ganz hinten im Buch, kurz vor der Werbung, versteckt ist …
Interessant fand ich die Art und Weise, wie hier Magie gewirkt wird. Einer schreibt die Worte nieder, einer illustriert das Pergament mit magischen Symbolen und kunstvollen Umrandungen, und einer summt die Melodie der Beschwörung. Die Magier sind stets zu dritt, eine Triade, denn Drei ist die Zahl des Gleichgewichts. Das schlägt sich auch in anderen Bereichen nieder: Die Enneade besteht aus drei Triaden. Entfernungen werden in Dreifuß gemessen, das Alter in Neunjahren.
Die Idee einer Insel, die vor dem Rest der Welt verborgen ist, ist allerdings nicht unbedingt neu, auch nicht die Tatsache, dass Torrin Schwarzmagier nicht das eigentliche Problem Eiden Myrs ist, was ziemlich früh absehbar ist.
Warum nach der Aufhebung von Galandras Schild die Magie in Eyden Myr erlöschen sollte, ist mir dagegen nicht ganz klar! Schließlich war Galandra nicht der Ursprung der Magie, sondern nur eine von vielen Magiern …
Die Verlauf der Handlung erinnert ein wenig an ein widerborstiges Maultier. An manchen Stellen hält die Autorin sich ertaunlich lange auf, zieht kurz darauf das Erzähltempo drastisch an, um dann plötzlich wieder langsamer zu werden. Im Grunde ist das nichts Besonderes, irritierend ist die Auswahl der Stellen, die sie getroffen hat.
So verwendet sie eine Menge Zeit auf die Szene im Wirtshaus an dem Abend, als Liath ihre Trikele erhält. Diese recht lange Sequenz ist gespickt mit Andeutungen, die der Leser erst sehr viel später verstehen kann, als einige Dinge aus Liaths Kindheit näher erklärt werden. Auch der Teil, den Liath bei den Berufenen, sozusagen den Magier-Azubis, verbringt, ehe sie die Ennead um Hilfe bittet, ist weit ausführlicher als nötig und trägt mit seinen Erklärungen über die verschiedenen Kleiderfarben der Festenbewohner eher zur Verwirrung bei als zur Erläuterung. Der Prolog ist von der eigentlichen Geschichte unabhängig und wird erst spät in den Kontext eingebunden. All das macht die Geschichte am Anfang ziemlich langatmig.
Auf Liaths Reise dagegen huscht die Handlung von einem Ziel zum nächsten. Manche werden lediglich erwähnt, andere etwas genauer ausgeführt, doch die Informationen innerhalb dieser Abschnitte sind für den eigentlichen Zusammenhang im Grunde unerheblich. Fast die gesamte Reise Liaths durch Eiden Myr ist gekennzeichnet durch kurze, schnappschussartige Eindrücke, als hätte McGarry versucht, einen kurzen Überblick über die verschiedenen Landstriche und die Eigenheiten ihrer Bewohner zu geben. Der Gesamteindruck ist aber eher bruchstückhaft. Einerseits verständlich, denn für mehr war einfach kein Platz, andererseits aber fehlt der Darstellung so die Intensität, um sie wirklich interessant zu machen. Es entsteht der Eindruck, als hätte die Autorin einmal mit weit ausholender Geste über die Landkarte gewischt.
Bei Liaths zweitem Besuch in der Feste hingegen überschlagen sich die Ereignisse regelrecht! Wie auf einer Achterbahn wechseln Gefangennahmen und Flucht mit Revolten und Befreiungen. Innerhalb dieser kurzen Zeit – grob gesehen, knapp ein Drittel des Buches – findet auch Liaths Verwandlung von der gläubigen Schülerin zur kritischen, selbstständig denkenden Frau statt. Nachdem die Handlung sich erst ziemlich hinzog, wird hier das Erzähltempo drastisch angezogen.
Der Schluss hingegen wirkte ein wenig konstruiert, vor allem die Sache mit Jonnula.
Eine recht durchwachsene Mischung, die Terry McGarry da geschrieben hat. Die Grundidee fand ich durchaus gelungen, wenn auch nicht alle Einzelheiten wirklich neu waren. Die Ausarbeitung war dagegen noch etwas unausgewogen. Ein wenig mehr Konzentration auf den eigentlichen Handlungsstrang und weniger Verzettelung in nebensächlichen Details käme der Spannung zugute. Rätsel und Andeutungen machen Geschichten durchaus interessanter, solange sie sich nicht auf so viele verschiedene Sachverhalte beziehen, dass der Leser den Überblick verliert.
Bleibt abzuwarten, in welche Richtung sich der Folgeband entwickelt. Eigentlich ist es kaum vorstellbar, dass die Magie im weiteren Verlauf keine Rolle mehr spielen sollte, immerhin handelt es sich immer noch um Fantasy.
Terry McGarry war nach dem College in den verschiedensten Berufen tätig und ist letztlich im Verlagswesen hängen geblieben. Sie schrieb schon seit längerem Kurzgeschichten, ehe sie „Zauberin des Lichts“ schrieb. Die Fortsetzungen zu diesem Roman, „The Binder’s Road“ und „Triade“, sind auf Deutsch noch nicht erschienen.
http://www.eidenmyr.com
http://www.heyne.de
Hörspiele / Hörbücher
12. Oktober 2006 Meike Schulte-MeyerSchreibe einen Kommentar
Saša Stanišics bisherige literarische Karriere mutet ein wenig so an, als wäre sie selbst einem Roman entsprungen. Es war 1992, als der 1978 in Bosnien geborene Autor mit seiner Familie im deutschen Exil Zuflucht suchte. Seit 2001 schreibt und publiziert er deutschsprachige Texte und erreichte 2005 etwas, das für jemandem, für den Deutsch im Grunde immer noch eine Fremdsprache ist, umso beeindruckender erscheint: Er gewann den Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. In diesem Jahr setzt er mit seinem Debütroman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ noch eins drauf, indem er es bis auf die Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2006 gebracht hat. Ist schon faszinierend, wie der junge Bosnier den Deutschen zeigt, was man mit deutschen Worten so Feines zaubern kann.
Um das Zaubern geht es gewissermaßen auch in besagtem Debütroman. Es ist sein Opa Slavko, der den jungen Aleksandar mit Zauberhut und Zauberstab ausstaffiert und ihm mit auf den Weg gibt, dass Erfindung und Fantasie die wichtigsten Gaben sind, die der Mensch hat. Aleksandar soll sich die Welt schöner denken, als sie ist – ein Ratschlag, den Aleksandar schon bald zu beherzigen weiß.
Opa Slavko segnet kurz darauf das Zeitliche und auf Aleksandars Heimat kommen große Veränderungen zu. In Jugoslawien bricht der Krieg aus. Die Schrecken des Krieges, Ängste und Verluste dominieren das Leben und Aleksandar ist in der Tat gut damit beraten, sich die Welt schöner zu denken, als sie ist. Aleksandars Heimatstadt Višegrad fällt, seine Familie flieht und Aleksandar verliert in der Hektik des Aufbruchs das Mädchen Asija aus den Augen, mit dem er erst vor kurzem Freundschaft geschlossen hatte.
Aleksandar wird mit seiner Familie in Deutschland heimisch, doch stets hält Aleksandar die Erinnerungen an die Heimat und die große Familie wach. Er schreibt von Begebenheiten in der Familie und Kuriositäten seiner Heimat. Zehn Jahre nach der Flucht bucht der mittlerweile erwachsene Aleksandar endlich einen Flug nach Sarajevo, um zu sehen, was aus Familie und Heimat geworden ist und ob er Asija endlich wieder findet …
„Wie der Soldat das Grammofon repariert“ ist unterm Strich im Grunde eine literarische Bewältigung des Balkankrieges. Es gibt schon auf den ersten Blick auffällig viele Parallelen zwischen Autor und Protagonist; so gesehen kann man die Geschichte sicherlich auch als persönliche und autobiographische Aufarbeitung des Themas sehen. Genau wie seine Hauptfigur Aleksandar ist auch Saša Stanišic im bosnischen Višegrad geboren und beiden gemein ist sicherlich auch die Vorliebe, Erinnerungen und kuriose Geschichten schriftlich festzuhalten.
Obwohl Stanišic kein Muttersprachler ist, geht er mit der deutschen Sprache absolut souverän um. Er hat eine verschmitzte Art, seine Geschichte zu erzählen, legt eine gewisse Poesie in seine Worte und unterstreicht seine Geschichte mit Ironie und Wortwitz. Dass Deutsch nicht seine Muttersprache ist, merkt man ihm beileibe nicht an, und das ist schon durchaus beachtlich und zeigt, wie intensiv Stanišic sich mit der deutschen Sprache auseinander gesetzt haben muss.
Stanišic schafft es mit seinen Worten, die Geschichte und die Figuren wirklich lebendig werden zu lassen und gerade auch die Hörspielproduktion des Bayerischen Rundfunks unterstreicht diese Lebhaftigkeit ganz wunderbar. Die Stimmen passen ganz fantastisch zu den Figuren. Man sieht sie förmlich vor sich – Opa Slavko, wie er Maß nimmt für Aleksandars Zauberhut, Tante Taifun, die beim Familiefest in hektischer Aufregung umherwirbelt, und selbst als Aleksandar beim Angeln Zwiesprache mit der Drina hält, die durch Višegrad fließt, wirkt das Ganze so wunderbar plastisch, dass es einem nicht eine Sekunde lang komisch vorkommt, dass sich ein Junge mit einem Fluss unterhält.
„Wie der Soldat das Grammofon repariert“ vereint enorm viele menschliche Gefühle in sich und wirkt wie ein Stück Leben auf CD gebannt. Die Unbeschwertheit der Kindheit, die Geborgenheit der Familie, die mit der sich verändernden Stimmung im Land erste Risse bekommt. Die Unbegreiflichkeit und Unbeschreiblichkeit der Kriegsgräuel, die Sehnsucht nach Frieden und Heimat, die Ängste von Flucht und Zerstörung, die Tragik wie auch die Komik, die all den kleinen alltäglichen Dingen innewohnt – „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ ist ein schillerndes Kaleidoskop menschlicher Gefühle.
Ganz nebenbei sensibilisiert Stanišic den Leser bzw. Hörer für das, was Anfang der 90er im ehemaligen Jugoslawien geschah – ein unbeschreiblich brutaler Krieg mitten in Europa. Und so stimmt „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ in jedem Fall auch nachdenklich. Die Hörspielproduktion, die unter der Regie von Leonhard Koppelmann entstand, fängt (nicht zuletzt dank der gelungenen musikalischen Untermalung) diese Stimmungen und Gefühle ein, macht sie dem Leser zugänglich und das Buch damit zu einem echten Erlebnis.
Unterm Strich ist Saša Stanišic mit „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ ein in jeder Hinsicht lobenswerter Debütroman geglückt. Sprachlich fantastisch, wunderbar bildhaft und voller großer Gefühle, weckt auch die gleichnamige Hörspielproduktion vielfältige Gefühle. Tragisch und komisch zugleich präsentiert sich Stanišics Geschichte als ein Stück manifestierte Zeitgeschichte um Familie, Krieg und alltägliche Kuriositäten.
Man kann das Werk eigentlich nur jedem ans Herz legen. Als Buch dürfte „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ schon für sich genommen ein wunderbar melancholischer Genuss sein. Das 78-minütige Hörspiel füllt die Geschichte obendrein auf wunderbare Weise mit Leben.
Der gleichnamige Roman erschien im |Luchterhand Literaturverlag|:
[luchterhand-literaturverlag.de]http://www.randomhouse.de/luchterhand/
[randomhouseaudio.de]http://www.randomhouse.de/randomhouseaudio/
Hörspiele / Hörbücher
11. Oktober 2006 Björn BackesSchreibe einen Kommentar
_Besetzung_
Erzähler – Hans Paetsch
John Shelby – Franz-Joseph Steffens
Chloe – Uta Höpfner
Sam – Harald Pages
Mr. Haley – Andreas von der Meden
Mr. Shelby – Helmut Kolar
Mrs. Shelby – Imme Froh
Evangeline St. Claire – Regine Lamster
Mr. St. Claire – Horst Stark
Mr. Legree – Heinz Harm
_Story_
Vor 150 Jahren war es in den amerikanischen Südstaaten noch Usus, dass die weißen Großgrundbesitzer zur Bearbeitung ihrer Plantagen schwarze Sklaven hielten. So auch der besonnene Mr. Shelby, einer der wenigen dieser Leute, der seine Sklaven auch tatsächlich als Menschen betrachtet und ihnen innerhalb ihres Aufgabenbereichs einzelne Freiheiten gewährt.
In seinem Besitz befindet sich auch der gutmütige Tom, ein fleißiger und beliebter Schwarzer, der mit seiner Familie sogar eine eigene Hütte auf Shelbys Anwesen bewohnt. Dort lebte er trotz seiner Fessel mit sich und seiner Welt in Frieden, zumal er seinen Glauben auf der Farm in vollen Zügen ausleben konnte. Eines Tages jedoch bleibt Shelby keine Wahl, als ‚Onkel Tom‘, so der Rufname des Sklaven, für eine hohe Summe zu verkaufen. Ein Sklavenhändler macht ihm ein Angebot, das man einfach nicht ausschlagen kann, und sucht alsbald einen neuen Besitzer für seinen neuen Schützling.
Während einer Schiffsfahrt lernt Tom die junge Evangeline St. Claire kennen, freundet sich mit dem jungen Mädchen an und wird schließlich von ihrem Vater in den Dienst genommen. Glücklich über seine neue Anstellung, erwirbt sich Tom sehr schnell erneut einen sehr guten Ruf und lebt nicht nur als Sklave, sondern auch als Freund der Familie St. Claire.
Dann jedoch beginnt das Drama: Das kleine Mädchen wird todkrank, und Tom und die Familie müssen hilflos mit ansehen, wie die junge Eva in den Himmel auffährt. Ihr letzter Wunsch ist, dass Tom nach ihrem Tod ein freies Leben führen darf. Doch als Mr. St. Claire nach dieser Tragödie die Formalitäten für Toms Freiheit in die Wege leiten möchte, folgt auch schon der nächste bewegende Schicksalsschlag, der den gutmütigen Neger wieder meilenweit zurückwirft.
_Meine Meinung_
„Onkel Toms Hütte“ ist eine der dramatischsten Sagen der gesamten Literaturgeschichte; ein liebevolles Märchen über Glaube, Liebe und Hoffnung, das jedoch bei jedem ‚wunderbaren‘ Entwicklungsschritt von noch schlimmeren Ungerechtigkeiten überschattet wird.
Dabei werden die düsteren Rahmenbedingungen weitaus positiver dargestellt, als sie eigentlich sind bzw. waren. Die Sklaverei wird als die normalste Sache der Welt hingestellt, als Fakt, den es nicht anzuzweifeln gilt. Gut, man muss berücksichtigen, dass es sich hier vorrangig um eine Geschichte für das jüngere Publikum handelt, weswegen eine detailliertere Auseinandersetzung nicht zweckmäßig wäre, aber es ist im Grunde genommen schon erschreckend, wie selbstverständlich dieses finstere Kapitel der amerikanischen Geschichte hingenommen wird. Aber das ist keine Kritik am Hörspiel, sondern vielmehr eine generelle Kritik am leichtfertigen Umgang mit der strikten Rassentrennung, die in „Onkel Toms Hütte“ erst zum Ende hin ins Abseits gerät und indirekt scharf verurteilt wird.
Jenseits dieser Problematik ist die Geschichte wirklich ein wunderbares Märchen, aber auch ein sehr trauriges, das einem besonders in den letzten Sequenzen sehr nahe geht. Erst der Tod des armen kranken Mädchens, dann das ungerechte Schicksal von Onkel Tom und schließlich noch all die Niederträchtigkeiten, die der Mann über sich ergehen lassen muss. Stellenweise ist es echt hart, was hier geschieht, bisweilen sogar fast brutal, was aber Teil der Dramaturgie der Handlung ist.
Der Umgang mit den Sklaven, zunächst noch als menschlich und rücksichtsvoll beschrieben, entwickelt sich zu einem bewegenden Drama bis hin zum Gipfel der Ungerechtigkeit. Ausgerechnet der gutherzige, immerzu liebevolle Tom wird permanent zum Opfer, obwohl er sein Leben lang dankbar und zuverlässig geschuftet und sich wirklich alles gefallen lassen hat. Ähnlich sieht es mit der Geschichte der kleinen Eva aus; ein so lebendiger Charakter, voller Liebe und Zuversicht und außerdem schon so erwachsen, und plötzlich befindet sie sich im aussichtslosen Kampf gegen den Tod.
Auch wenn es eine sehr moralische, lehrreiche Story ist – sie ist kein leichter Stoff, aber deswegen noch umso schöner. Sie beschreibt in kurzen, aber sehr eindrucksvollen Zügen all das Leid und den Frevel sowie die Unbarmherzigkeiten, denen die schwarze Bevölkerung vor anderthalb Jahrhunderten ausgesetzt war, dies sicher in entschärfter Fassung, aber grundsätzlich doch schonungslos hart.
Das Hörspiel aus der „Europa-Originale“-Reihe fängt die bedrückte Stimmung ein, die im Gegensatz zu Onkel Toms fröhlicher Ausstrahlung einen enormen Kontrast aufwirft, den man erst einmal gar nicht begreifen will. Doch Tom ist ein tiefgläubiger Mensch, der die Hoffnung nie verliert, seine gesamte Familie mit dieser Laune ansteckt und somit sein Leben meistert – bis hin zum traurigen Tod, dem Sinnbild für das ungerechte Leben dieses einzigartigen Menschen.
Das Original, aufgenommen im Jahre 1972, ist basierend auf dieser wechselhaften Atmosphäre auch ein echter Ohrenschmaus, der gekonnt all die tiefgreifenden Emotionen der Geschichte beeindruckend widerspiegelt. Die Sprecher, allen voran Franz-Joseph Steffens, der mit seiner rauen Stimme die Rolle des gutmütigen Brummbärs absolut souverän ausfüllt, erledigen einen prima Job und spielen ihre Rollen nicht nur lebhaft, sondern auch der betrübten Handlung entsprechend sehr authentisch aus. Es wird gelacht und geweint, geschimpft und geliebt, aufgegeben und gehofft, und jedes Mal wissen die Stimmen dieses Hörspiels, wie sie ihren Part auszufüllen haben. Selbst die vermeintlichen Fieslinge geben der Erzählung die erforderliche Herzlosigkeit und machen „Onkel Toms Hütte“ zu einem weiteren, absolut hörenswerten Vertreter dieser ’neu‘ gestarteten Reihe.
Oder um es anders zu sagen: Das Hörspiel setzt genau das um, was man von einer Klassiker-Adaption erwarten darf. Trotz der anfänglichen Zweifel ob des Umgangs mit dem Thema Sklavenhaltung kann ich „Onkel Toms Hütte“ aus dem Hause |Europa| daher auch nur dringend weiterempfehlen.
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Fantasy / Science-Fiction
11. Oktober 2006 Michael BirkeSchreibe einen Kommentar
„Die dunkle Göttin“ ist der zweite Teil des für die deutsche Übersetzung aufgeteilten Romans „Wind Rider’s Oath“ von David Weber und schließt den „Schwerter des Zorns“-Fantasyzyklus um den Barbaren Bahzell Bahnakson vorläufig ab.
Der sonst eher für seine Science-Fiction-Romane um Honor Harrington bekannte Weber entführt den Leser in die urige, barbarische Fantasywelt Norfressa, in der gute und böse Götter durch ihre sterblichen Diener ihre Kriege austragen. Der sture Hradani Bahzell wurde ein wenig widerstrebend zum Paladin des Kriegsgottes Tomanâk und konnte sich gegenüber Monstren und Schergen des Bösen durchsetzen, aber auch Vorurteile gegenüber sich und seinem Volk, den als blutrünstig und primitiv verschrienen Hradani, abbauen.
In den letzten beiden Bänden konnte er einen Krieg zwischen Hradani und den Sothôii verhindern, traditionellen Erzfeinden. Gewarnt durch die Erfolge der Paladine Tomanâks, haben die dunklen Götter jedoch ihre Strategie geändert und schlagen nun an mehreren Fronten offen oder verdeckt zu. Während Bahzell sich um die von einer unbekannten Macht gejagten Windrenner der Sothôii kümmert, klärt Paladina Kaeritha ungewöhnliche Vorgänge im Reich der Axt auf, die den Kriegsbräuten (eine Art Amazonen) der Göttin Lillinara, eine Schwester des Kriegsgottes Tomanâk, schaden könnten.
_Von den Windreitern zu den Kriegsbräuten_
Die von der Göttin Krahana im letzten Band fast ausgerotteten intelligenten magischen Rösser der Sothôii, die Windrenner, verdanken Bahzell ihr Überleben. Mehr noch, der Hengst Walsharno erwählt Bahzell zum ersten Hradani-Windreiter der Geschichte. Der reiterisch völlig unbegabte Barbar gewinnt mit dem Hengst einen mächtigen Verbündeten, mit dem er gemeinsam gegen die „Shardohn“ genannte Dämonenbrut Krahanas vorgehen kann. Diese zweite Hälfte des Doppelbands konzentriert sich auf Kaeritha und die Kriegsbräute Lillinaras, deren Tempel vom Bösen entweiht wurde, wie Kaeritha fast zu spät herausfindet.
Die Kriegsbräute werden aus der Sicht der Tochter Baron Trellians geschildert, die so einer ungewollten politischen Hochzeit entgehen will. Neben Kaeritha erzählt sie den größten Teil der Geschichte, der so leider der bissige Humor und die spritzigen Dialoge Bahzells mit dem Kriegsgott oder seinen Freunden fehlen. Stattdessen wird eine verwirrende Unzahl von Nebencharakteren eingeführt, die blass bleiben und wenig zur Fortführung der Handlung beitragen. Selbst Kaeritha wirkt ohne Bahzell nur wie ein Schatten ihrer selbst. Zu viel wollte Weber in diesen Roman packen; so faszinieren auch die Kriegsbräute bei weitem nicht so sehr wie der Orden des Tomanâk oder die Windrenner, trotz betont knapp und kurz, bauchfrei gehaltenem Habit.
Im Gegensatz zu den ersten Bänden ist leider auch ein in der Rollenspielwelt als „Power Creep“ bekanntes Phänomen festzustellen: Die Todesgöttin Krahana reicht nicht mehr aus als Gegner, Weber greift im Pantheon der dunklen Götter bis an die Spitze … und Kaeritha kämpft an der Seite des Kriegsgottes selbst, greift durch ihn auf einen „Ozean aus Macht“ zu und dergleichen mehr. Der gelungene Humor und die spritzigen Dialoge der ersten Bände leiden ein wenig darunter, auch neigt Weber leider wieder zu simpleren, recht eindimensional gezeichneten Charakteren, die er unnötigerweise |en masse| einführt.
_Fazit_
David Weber erweitert seine Welt Norfressa in diesem zweiten Teil des aufgeteilten „Wind Rider’s Oath“ um einen weiteren Kriegerorden und zahlreiche Charaktere, bauscht Konflikte immer weiter auf verfällt damit leider auf einen Irrweg, von dem die Serie bislang verschont geblieben ist. Anstelle neuer Ideen versucht es Weber mit einer Steigerung bereits bekannter Konflikte und treibt die Action in geradezu metaphysische Sphären, die nicht begeistern können. Bei der Schilderung Kaerithas und der zur Kriegsbraut gewordenen Tochter Baron Trellians hätte er punkten können, leider versäumt er dies und führt viel zu viele neue und relativ blasse, eindimensionale Charaktere ein. Ein relativ unspektakuläres vorläufiges Ende für die „Schwerter des Zorns“. Die große und liebevoll ausgearbeitete Welt Norfressa, ihr griechisch-nordisch inspiriertes Götterpantheon und die exzellenten Karten machen jedoch Hoffnung auf eine Fortsetzung. Die beiden ersten Bände dieser Saga gehören zu den besten Werken Webers überhaupt; es wäre schön, wenn er in möglichen Fortsetzungen an deren Qualität anschließen könnte.
Der „Schwerter des Zorns“-Zyklus bei |Buchwurm.info|:
1. [„Der Schwur“ 2093
2. [„Der Kriegsgott“ 2889
3. [„Der Windreiter“ 2890
4. [„Die dunkle Göttin“ 2891
Belletristik
11. Oktober 2006 Maren StraussSchreibe einen Kommentar
Warum wird eigentlich jedes zweite Buch, das von einem asiatischen Autor stammt, als „Skandalroman“ bezeichnet? Oder ist es sogar jedes Buch? Man weiß es nicht. Fakt ist aber, dass „Das Gottesspiel“ von Kim Young-ha laut dem |Spiegel| noch so eine Skandalschrift ist.
Dabei geht es inhaltlich noch nicht einmal um die verborgenen Sexgelüste einer spießigen Gesellschaft, sondern vielmehr um einen namenlosen Ich-Erzähler, dessen Beruf darin besteht, den Selbstmord anderer Menschen auf deren Wunsch zu inszenieren. Seine beruflichen Erlebnisse verarbeitet er dann in einem Roman, indem er erzählt, wie es dazu kam, dass sich diese Menschen umbrachten.
Im Buch werden die Fälle von der gelangweilten, jungen Seyour, die immer einen Lolli im Mund hat, und der Aktionskünstlerin Mimi erzählt. Obwohl scheinbar kein Zusammenhang herrscht, kommen zwei Brüder, nur C und K genannt, bei beiden Mädchen vor.
Allerdings erschließt sich dem Leser nicht wirklich, welche Rolle C und K eigentlich haben, und das, obwohl sie derart viel Raum einnehmen. Das ist sehr schade, denn es ist nicht die einzige brennende Frage, die offen bleibt, wenn man das Büchlein zuschlägt. Nun können offene Fragen natürlich auch als eine Art Stilmittel eingesetzt werden, aber da sich die Fragen zu Young-has Geschichte nicht mit einer Happy-End-Lappalie à la „Bekommt der Held die Heldin also doch noch?“ begnügen, sondern tief in der Geschichte wurzeln, stören sie erheblich. Was macht man als Leser denn mit einer Geschichte, die zwar sehr gut erzählt ist, die man aber inhaltlich nicht versteht, weil sie stellenweise so verworren ist?
Schuld an dieser Verwirrung ist vor allem Aufbau. Die Perspektiven wechseln schnell und es dauert sehr lange, bis man sich überhaupt in die Geschichte hineingefunden hat. Hinzukommt, dass zum Beispiel zu den Charakteren K und C kaum etwas erklärt wird. Wer sind sie? Ist einer davon identisch mit dem Ich-Erzähler? Und wieso nennt der eine das Mädchen Seymour und der andere Judith? Sind es verschiedene Mädchen? Und in welcher Reihenfolge läuft die Handlung überhaupt ab?
An den Perspektiven, die Young-ha benutzt, liegt es definitiv nicht, denn sie verdienen ein wirklich wohlwollendes Kopfnicken. Absolut untypisch asiatisch schreibt der junge Mann. Von der netten Oberflächlichkeit, die Bücher aus diesen Landen oft prägt, ist nichts zu spüren. Stattdessen eine philosophische, dreckig-authentische Tiefgründigkeit, die sehr tief unten in den Seelen der Protagonisten wühlt und deren Gedanken, Gefühle und Meinungen ungefiltert preisgibt. Das zeigt sich auch in den flapsig wirkenden, aber eigentlich direkt auf den Punkt gebrachten Dialogen und den sehr schönen Beschreibungen von Eigenheiten, die der Autor den treffend ausgearbeiteten Charakteren zuordnet. Ein gutes Beispiel dafür ist Judiths Lollifetisch.
|“Chupa Chups. Das ist Judiths Lieblingssorte. Wenn sie nicht raucht, hat sie häufig einen Chupa Chups im Mund, dieses runde Bonbon mit dem Stäbchen. Sie behält ihn sogar im Mund, wenn sie sich lieben. C fürchtet immer, sie könne ihm mit dem Stäbchen die Augen ausstechen. Das Stäbchen hat ihn übrigens tatsächlich einmal im linken Augen erwischt und er hatte Angst, blind zu werden. Selbst einige Tage nach dem Zwischenfall traute er sich noch nicht, wieder mit ihr zu schlafen.“| (Seite 38)
Die anderen Charaktere profitieren ebenfalls von Young-has akribischer Arbeit, die sich durch das ganze Buch zieht. An und für sich ist das nichts Schlechtes, aber der eine oder andere mag sich wahrscheinlich daran stören, dass das Buch allzu streng durchkomponiert wirkt.
Eine strenge Komposition ist dabei ja eigentlich nichts Schlimmes. Sie verhindert Längen und fordert Lesen mit Gehirn. „Das Gottesspiel“ meint es an einigen Stellen aber leider zu gut. Während die Charaktere und der Schreibstil wirklich ein großes Lob verdienen, wissen Inhalt und Aufbau nicht immer zu überzeugen. Erstens fehlt es dem Buch an klar abgegrenzten Strukturen und zweitens bleibt am Ende ein schales Gefühl zurück. Der Klappentext redet wie selbstverständlich von einem Ich-Erzähler, der Selbstmorde für Kunden arrangiert. Allerdings finden sich derer nur zwei in dem knapp 160-seitigen Buch. Der Rest sind Ausrisse aus dem Roman, den der Ich-Erzähler schreibt. Zwei dieser Selbstmorde bei großer Ankündigung sind zu wenige, um ein ganzes Buch auszumachen, aber zu viele, um nur einen kurzgeschichtenartigen Ausriss aus dem Leben einer Person darzustellen.
Kim Young-has Debüt ist folglich eine zwiespältige Sache. Auf der einen Seite ein interessanter, fesselnder Schreibstil mit sympathischen, gut ausgearbeiteten Charakteren sowie einem Umschiffen der typischen Asia-Oberflächlichkeit, auf der anderen Seite aber ein verwirrender Aufbau, und wer möchte ein Buch nur wegen des Schreibstils lesen? „Das Gottesspiel“ verspricht Potenzial und erklärt die Lobeshymnen, die über dieses Buch gesungen werden, zumindest zur Hälfte, aber der große Wurf ist dem Südkoreaner damit noch nicht gelungen.
Interviews
10. Oktober 2006 Berthold Roth
|Fortsetzung von [Teil 1]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=70 |
_Specials_
Wie in den ersten Aufführungen 2002 und 2003 gibt es immer wieder von Dieter Wedel gedrehte Filmsequenzen auf Großleinwand. Auf die Bühne fahren richtige Autos – ein Jeep und ein Mercedes Cabrio aus Siegfrieds Fuhrpark. Auch ein Pferd – der Schimmel „Sidestep“ aus früheren Inszenierungen – taucht im Stück auf, aber dessen Tod wird durch eine Attrappe dargestellt. Auch drei große Hunde sind mit dabei. Das imposante Eispferd der früheren Jahre wird wieder eingesetzt, 2002 noch aus wirklichem Eis, seit 2003 aber schon aus Plexiglas; es wiegt drei Tonnen und ist vier Meter hoch, 3,5 Meter lang und 1,5 Meter breit. Eingelassene Scheinwerfer geben ihm eine mystische Atmosphäre und aus seinen Nüstern bläst Dampf. Brünhild reitet darauf in den Hofstaat ihres neuen Ehemannes ein. Ein anderes großes Monument ist der Kopf Dankwarts, der ist allerdings aus Styropor. Diese Statue birst auseinander, als Siegfried untermalt von lauten, grollenden Geräuschen an den Burgunderhof kommt. Das geschieht wie bei den Rollcontainern durch Muskelkraft, innen sitzen zwei der fünfzehn Bühnentechniker. Oben auf der Statue liegt Grillkohle, eine Nebelmaschine springt an und die Techniker ziehen an einem Seil. Die Illusion ist perfekt. Nach Siegfrieds Tod brennt ein Tisch und Flammen leuchten im Dunkeln um Siegfried auf. Dies ist ein beeindruckender Trickeffekt, der zustande kommt, indem ein Mitarbeiter unterm Tisch sitzend auf Kommando eine Gasflasche aufdreht.
Auch beeindruckend sind mächtige Rollcontainer, die beim Ablauf die Bühne verändern. Gleich zu Beginn gibt es eine spektakuläre Szene, wenn am Ende der Brautwerbung des finnischen Königs Jukka Thor durch die männermordende Brünhild dieser und seine Begleiter einen grausamen Tod sterben, indem er und seine Mannen in eine sich plötzlich auftuende Gletscherspalte stürzen und auf Nimmerwiedersehen im eiskalten Nebel Islands verschwinden. Diese technische Perfektion geschieht noch durch Manneskraft, denn in den Rollcontainern, die immer wieder auf- oder zugehen, stehen jeweils sechs starke Jungs, die von Stage-Manager Detlef Hahne kommandiert werden. Diese Jungs schieben die jeweils vier Tonnen schweren, auf Schienen und Rollen dahingleitenden, 13 Meter langen Container mit erstaunlicher Präzision in die vorbestimmten Positionen. Auch sonst ist diese Eingangsszene in waberndem Nebelblau für die urzeitliche Szene auf Isenstein und das archaisch anmutende Frauenvolk ein ästhetischer Genuss. Brunhild und ihre Begleiterinnen stehen auf Plaxiglasböden, die von unten angestrahlt werden und die Szene in ein eisiges Licht tauchen.
Detlef Hahne hat zwei Bühnenmonitore zur Verfügung, mit deren Hilfe er das Geschehen auf der Bühne genauestens verfolgen kann, und einen kleineren für die Videoeinspielungen. Er orientiert sich am Textbuch, in das er seine Kommandos notiert hat, wobei er das meiste auswendig kann. Er hat zusätzlich zwei Headsets zur Verfügung, also Kopfhörer und Mikrophone, und ein Mischpult für Lichtsignale.
Eine Ton- und Lichtcrew sorgt im Hintergrund für perfekte Technik. Aus dem 16 Quadratmeter großen Tonstudio hoch oben am Ende der Tribüne wird jeder Lautsprecher verwaltet. Jede Sprechrolle hat eine eigene Taste, jedes Störsignal wird herausgefiltert. Auf Tastendruck werden auch über 400 Lichtquellen, Lampen, Leuchter und Strahler bedient. Gearbeitet wird mit computergesteuerten und programmierten Effektreihen, für den Notfall steht ein manuelles Mischpult bereit. Wichtigstes Werkzeug ist ein hochauflösender Computer. Was hier im Hintergrund gemacht wird, ist sensationell, denn alles ist „wireless“ – also drahtlos und „netzwerkfähig“ und als Technik erst seit kurzem auf dem Markt. Ein Teil der Crew steht auch bereit, um verrutschte Mikrophone wieder in Position zu bringen oder Defekte zu beheben.
Die Bühnentechnik besteht aus etwa 80 Tonnen Stahl, Holz, Licht- und Tontechnik.
Die eingespielten Filmszenen, die viele vor vier Jahren noch als Fremdkörper empfanden, fügen sich nunmehr schlüssig in das Handlungsgeschehen ein und erscheinen durchaus sinnvoll. Sie erscheinen nicht mehr als Lückenfüller, z. B. kann man die eigentliche Hochzeit im Wormser Dom nun originalgetreu von außen stilecht betrachten.
Heftig im Vorfeld der Festspiele wurde eine manchen mit 30.000 Euro zu teuer erscheinende Brücke diskutiert, die dann aber doch billiger wurde als geplant und die Bühne mit dem Heylshofpark verband. Im Vorfeld hatte die CDU diese Brücke kritisiert, sich dann aber doch überzeugen lassen, dass es die einzig praktikable Lösung sei. Aber spätestens bei der Premiere mussten auch alle anderen Kritiker eingestehen, dass diese absolut notwendig war, um möglichst schnell zweieinhalb tausend Menschen in die Pause und zurück bewegen zu können. Für die richtige Festspiel-Atmosphäre war sie unentbehrlich. Erbaut wurde sie durch Spezialisten der Tribünenbaufirma Nüssli (Roth), die auch für die eigentliche Zuschauertribüne zuständig war, deren diesjährige Höhe 13 Meter betrug. Die Firma Nüssli ist im vierten Jahr mit in Worms dabei. Eine solche Anlage wird natürlich auch TÜV-überprüft, aber die Arbeiter haben gute Erfahrungen, denn sie sind auch bei den Olympischen Spielen mit dabei. Die Bühne selbst ist 29 Meter breit, 20 Meter tief und nahe an den Zuschauern, eingebaut waren auch drei Hubpodien. Mit den schon genannten Rollcontainern konnte die Bühne zudem noch unterteilt werden. Da diese auch zusätzliche Türen hatten, konnten dadurch weitere Auftrittsorte genutzt werden. Die Überwachung der Arbeiten unterlag dem technischen Leiter Michael Rütz.
Zum Premierenabend ist das Catering-Equipment mit acht Lastwagen angerückt. 130 Servicekräfte waren im Einsatz und nochmals 40 Köche. Für die 300 Prominenten beim Bürgermeister-Empfang gab es asiatische und andere Leckereien und nach der Premierenvorstellung für die insgesamt 2100 geladene Gäste halben Hummer, verschiedene Wok-Stationen bis hin zu ländlich-edlen Speisen. Das Service-Team mit seinen unzählbaren Hostessen, die auskunftsfreudig jederzeit zur Verfügung stehen, genießt überhaupt einen sehr guten Ruf. Der Catering-Bereich wird seit zwei Jahren vom Personal der Firma „Servcat“ betreut. Für die Schauspieler steht neben vegetarischem Essen Diätkost oder auch mal was Deftiges auf dem Speiseplan. Aber darüber hinaus gibt es auch Kopfschmerztabletten, Tageszeitungen und natürlich tröstende Worte bei zu schwierigen Proben. Im Catering-Bereich trifft sich jährlich über sechs Wochen hinweg ein buntes Völkchen, bestehend aus Technikern, Künstlern, Presse und Organisation. Es stehen insgesamt 25 Container und 20 Zelte um den Dom.
Besonders geschätzt von Aufführungsbesuchern mit etwas mehr Geld wird das VIP-Arrangement. Seit vier Jahren serviert Sternekoch Wolfgang Dubs im historischen Ambiente des Andreasstiftes ein exzellentes Vier-Gänge-Menü mit besten Weinen aus der Region. Danach folgt ein Festspielbesuch mit Plätzen in der ersten Kategorie. Dieses Angebot wird immer beliebter. Seit letztem Jahr wird der komplette Innenhof des Andreasstiftes genutzt, um der stetig steigenden Nachfrage nachkommen zu können. Neu in diesem Jahr ist die Beteiligung der DaimlerChrysler AG, die die Fahrzeuge für den Fahrdienst stellt. Die Gäste werden von zehn exklusiven R-Klasse-Fahrzeugen vom Andreasstift abgeholt und zum Dom chauffiert. Neben VIP-Parkplatz, Hostessenservice und VIP-Lounge in der Pause runden weitere Extras das exklusive Angebot ab. Der Preis für diesen Rundum-Service beträgt 195 Euro.
Auch Menschen, die keine Vorstellung besuchen, können das wunderschöne, illustre Ambiente genießen. Zwar ist für Touristen tagsüber während der Festspielzeit der Park geschlossen, aber ab 18 Uhr ist er offen und es gibt Essen und Trinken zu akzeptablen Preisen. Unter dem Motto „Essen im Park“ ist das Festspielresteraunt geöffnet und offeriert Köstlichkeiten vom Team des Resteraunts „Zum Stolpereck“. Und trotz des durchgehend miesen Wetters lag die Besucherkapazität 150 Prozent über dem Vorjahr.
_Rahmenprogramm_
Die Filmaufführungen der letzten Jahre wie auch das musikalische Open-Air-Programm aufgrund des Musikwettbewerbs vom letzten Jahr fanden nicht mehr statt, wobei viele im Vorfeld damit gerechnet hatten dass die Gruppe _Weena_, welche den glanzvollsten Eindruck hinterließ, nunmehr ihre Rockoper aufführen dürfte. Immerhin spielten sie stattdessen einige Stücke während der Vernissage zur Pop-und-Kitsch-Ausstellung (siehe weiter unten). So bleibt darauf zu hoffen, dass vielleicht im nächsten Jahr die ganze Nibelungen-Oper auch in Worms einmal aufgeführt werden kann. Im gedruckten Rahmenprogramm standen vierundzwanzig Sonderveranstaltungen. Im fünften Jahr ist es zum Ereignis neben dem Ereignis geworden.
_Benefiz-Vorstellung einer kindgerechten Aufführung des Nibelungenstücks_
An einem Sonntagmittag spielte das komplette Ensemble eine Version für Kinder, deren Erlös dem Bau einer Schule in Namibia zugute kommt. Das war eine Premiere – angeregt von Dieter Wedel und Joern Hinkel – in diesem Jahr. Auch hier kostete die Karte nur fünf Euro (wie schon bei der Generalprobe oder auch beim Stück der Nibelungenhorde). Die Vier-Stunden-Version wurde auf 90 Minuten heruntergestrichen und Thilo Keiner, der im Stück schon den finnischen König und den Mundschenk Sindold spielt, trat hier noch zusätzlich als Erzähler auf, der durch die Handlung führt. Er agierte dabei auch im Publikum und stellte direkte Fragen an die zuschauenden Kinder. Gestrichen wurden vor allem die nicht kindgerechten Szenen, wie die Vergewaltigungen der Isländerinnen. Auch zeigte sich Kriemhild (Jasmin Tabatabai) gemäßigt und warf als wütende und betrogene Ehefrau der Brünhild nicht ganz so böse Worte ins Gesicht. Die Schlachtszenen oder wenn der Finnenkönig und seine Mannen auf Island ins Meer stürzen fehlten allerdings nicht. Begeistert feuerten die Kinder mit „Siegfried, Siegfried“-Rufen den Helden an und amüsierten sich sehr, als Gunther unter Gestöhne von Brunhild am Baum hochgezogen wurde. Viel Gelächter gab es auch bei den witzigen Szenendialogen zwischen dem atemlosen Boten und dem Burgwächter Eisermann. Mit Klatschen, Trampeln und Rufen dankten am Ende auch die Kinder den Schauspielern.
_Nibelungenhorde_
Dahinter verbirgt sich ein ehrgeiziges Jugendprojekt für Theaternachwuchs. Die Idee entstand unter anderem durch den Film „Rhythm is it“. Auch dort wurden die schöpferischen Kräfte der jungen Menschen durch Profis aktiviert. Jugendliche sollen ohne besondere Vorbildung animiert werden, Unbekanntes auszuprobieren. Intention des Projektes ist, Interesse an Kultur zu wecken und erlebbar zu machen, indem Parallelen zwischen der eigenen Persönlichkeitsentwicklung und literarischen Figuren gezogen werden – sowie Einblicke in die professionelle Theaterarbeit zu geben. Laut einer Umfrage des ZfKf sind zudem Jugendliche, die sich für Kultur interessieren, toleranter gegenüber fremden Kulturkreisen. Schulen in ihrer traditionellen Form können die Defizite bei der Kulturvermittlung in der Regel nicht alleine ausgleichen. Pädagogischer Ansatz ist, durch professionelle Anleitung Kreativität und Selbstbewusstsein zu fördern sowie persönliche Emotionen und Phantasie einzubringen.
Gesponsert wurde das Ganze von Seiten der Wirtschaft durch Harald Christ, Vorstand der HCI Capital AG, mit einer fünfstelligen Summe. Christ wurde in Gimbsheim geboren und hatte seine Ausbildung bei den Stadtwerken in Worms. Es folgte eine Bilderbuchkarriere. Jüngster Vertriebsdirektor bei BHW, anschließend Direktor der Deutschen Bank in Frankfurt und Berlin, übernahm er die Führung der HCI Capital AG. Noch immer ist er sehr heimatverbunden und sein besonderes Anliegen dabei ist die Förderung von Jugend, Kultur und Bildung. Das Nibelungenprojekt spricht alle drei Bereiche an und passt in seine Strategie. Zudem empfindet er die Nibelungenfestspiele als ein deutschlandweit einzigartiges Kulturereignis. In den nächsten zwei Jahren will er ca. eine Million Euro in verschiedene Projekte der Region investieren, die in eine Stiftung übergehen sollen, damit daraus ein lebenslanges Projekt werden kann. Er legt Wert auf die Feststellung, dass seine Sponsorenschaft aus seinem Privatvermögen finanziert ist.
Das Casting fand im Februar 2006 statt. Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren aus dem gesamten Rhein-Neckar-Raum wurden angesprochen. Aus rund 60 Interessenten suchte Uwe John 43 aus, die kostenlos teilnehmen konnten. Das Projekt wurde von elf zusätzlichen Jugendlichen redaktionell begleitet und später in einem Film, auf Fotos, einer Jugendkurs-Broschüre und einer Website (www.nibelungenhorde.de) dokumentiert. 40 junge Leute (drei waren wohl abgesprungen) erhielten seit dem 26. Juli vier Wochen lang intensive Theaterarbeit, während der der Stoff neu erzählt, die Rollen verteilt und eine passende Musik komponiert wurde. Zur Vorbereitung und zum Kennenlernen trafen sich alle Beteiligten aber schon am 1. April. Mit dabei waren die Teilnehmer der Jugendkurse, das Redaktions-, Dokumentations- und Websiteteam, der Regisseur, die Koordination, die künstlerischen Paten („Allee der Kosmonauten“) sowie der Musiklehrer. Davon stammt auch der zu sehende Trailer des genannten Internet-Links. Gleich mit Beginn der Proben begleitete ein Team des Südwestrundfunks das Projekt und am ersten Tag der Proben gab es schon einen Eindruck in der Sendung „Rheinland Pfalz aktuell“.
Die meisten Jugendlichen hatten sich auf Grund ihres Interesses an der Schauspielerei auf das Projekt eingelassen, aber es gab auch drei (Sissi, Swantje und Jens), die es aufgrund ihrer Mittelalter- und Rollenspielbegeisterung tun. Geprobt wurde acht bis zehn Stunden am Tag an sechs Tagen die Woche. Jeden Samstag wurde mit allen an der Textfassung des Nibelungenstücks gearbeitet. Es ging nicht um das Ergebnis, sondern um die Ausbildung. So sah man das Ergebnis auch eher als Werkschau denn als Theaterstück. Aber die Aufführung im Wormser Festhaus mit einer Länge von eineinhalb Stunden war beeindruckend, gut besucht und wurde mit stehendem Applaus belohnt.
Das Stück, das gar keinen eigenen Namen hat, handelt von Siegfried (Gianmarco Steinhauer aus Worms), dem Helden aus Xanten, der im Grunde das Gleiche erlebt wie auch in der originalen Geschichte. Er trifft Brunhild (Marie-Luise Raumland aus Flörsheim-Dalsheim), besiegt den Drachen, schlichtet den Streit der Nibelungenkönige mit dem Schwert und erhält so den Hort. Er holt, weil ihm Kriemhild dafür versprochen wird, Brunhild an den Wormser Hof – allerdings im Alleingang und rottet dabei die gesamten Isländer aus. Ulrike Schäfer von der Wormser Zeitung betont dabei als großen Unterschied zur Vorlage, dass Siegfrieds Heldentum von Anfang an problematisiert wird, Brunhild liebt ihn zwar, aber er ist ihr zu äußerlich, zu ungar. „Ich weiß, dass du zwar alles zerquetschen kannst, aber wichtiger ist mir deine Seele“. Deshalb rät sie ihm zu lernen, sich weiterzuentwickeln. Siegfried aber gelingt es nicht, aus seinen Erfahrungen Lehren zu ziehen. „Wenn du sie besitzen willst, ohne sie zu lieben, kann es dich dein Leben kosten“, rieten die Isländer dem jugendgerechten Siegfried gleich zu Beginn. In dieser Version wird Siegfried also von Brunhild abgewiesen.
Die Interpretation der Nibelungenhorde orientiert sich an den mythologischen Vorbildern, ist aber in die Gegenwart transportiert. Es sind Gangs, die das Sagen haben, die Burgunder, die Dragons, die Nibelungen, es geht um Geld, Drogen, Besitz, Macht. Auch die Nibelungen selbst sind nichts anderes als eine Hinterhofgang mit kaputten Autos, koketten Bräuten, einem abgedrehten Giselher und einem Volker, der mit Gitarre und coolen Sprüchen ständig Frauen abschleppt. Dem steht die naturverbundene Brunhild entgegen, für die innere Werte und die Bildung der Seele eine entscheidende Rolle spielen. Kriemhild dagegen ist eine bildhübsche, schmollmündige Diva mit Neigung zu Klunkern und schicken Schuhen. Der Streit der Königinnen dreht sich dann hauptsächlich um Weltanschauungen. Die durch Siegfried komplett vernichteten Isländer kriechen am Ende noch mal als Geister heran. Doch dann fällt auch schon der Schuss und das ist bereits Ende.
Das Stück ist mit sparsamen, aber effektvollen Mitteln in Szene gesetzt. Die Darstellung der Drachengang, die wie ein Riesenleib aus vielen beweglichen, stampfenden und kämpfenden Teilen erscheint, begeistert ebenso wie der Chor der Isländer, der durch präzise Koordination eine starke Wirkung erzielt. Eingeübt wurde diese Drachenchoreografie von Warren Richardson (STOMP), die an einem Wochenende zusammen mit der Choreografie von Siegfrieds Tod einstudiert wurde. Die witzige Charakteristik der Figuren überzeugt genauso wie die Umsetzung der Handlung, der Reichtum der Dialoge, die plausible Übertragung auf die heutigen Verhältnisse.
Initiatorin und Projektkoordinatorin ist Astrid Perl-Haag, Regisseur ist Uwe John, Antje Brandenburg Sprachtrainerin, Jannis Spengler Körpertrainer, Philipp Pöhlert-Brackrock Musikimprovisateur und Warren Richardson Choreograf. Täglich wurde unter der Leitung von Uwe John, dem Regieassistenten von Dieter Wedel, mit den namhaften Trainern gelernt, geprobt und einstudiert in verschiedenen Bereichen wie Improvisation oder Körper- und Sprachtraining. Auch erhielten sie Einblick in die „professionelle“ Theaterarbeit bei den Festspielen, besuchten deren Proben und sahen natürlich auch eine der Aufführungen. Auch mit Moritz Rinke wurde gearbeitet, der von seiner Dramaturgie erzählte. Und unter der Anleitung von Thomas Haaß und Karsten Rischer bekamen sie Fechtunterricht. Eine dieser Fechtstunden wurde von einem Fernsehteam des Südwestrundfunks gefilmt, das sich gerade auf Motivsuche für die Sendereihe „Fahr mal hin“ auf den Spuren der Nibelungen bewegte.
Das Projekt geht weiter. Durch diese Jugendkurse ist ein Anfang für Jugend-Kultur im Rhein-Neckar-Raum gemacht worden, der sich in Kooperation mit Schulen und Jugendorganisationen weiter fortsetzten wird. Als nächstes werden die Songs der „Nibelungenhorde“ mit der bekannten Rockband „Allee der Kosmonauten“ (Mischa Martin aus Kaiserslautern – Gesang – und Jürgen Fürwitt – Schlagzeug – waren von Anfang an schon die künstlerischen Paten und unterstützten die Jugendlichen in ihrer Arbeit) auf CD erscheinen. Die Band bietet deutschsprachige Rock- und Popmusik mit hochrangigem Songwriting. Bekannt wurden sie durch den Song „Du bist nicht allein“. Selbstgestaltete Schweineplastiken mit Signierungen der Schauspieler werden in Zusammenarbeit mit der Sparkasse versteigert, deren Erlös dem Projekt zukommt.
_Ausstellung: Die Nibelungen – Pop und Kitsch_
Während der Festspiele gab es im Historischen Museum Andreasstift eine Ausstellung der besonderen Art mit Nibelungen-Sammlungen seit den 60er Jahren. Private Leihgeber haben die Ausstellungsgegenstände zur Verfügung gestellt. Der größte Teil stammt von Andreas Grünewald aus Weimar, der auch seit 2003 Mitglied der Nibelungenlied-Gesellschaft ist. Grünewald kommt deswegen öfter zu den Sitzungen der Gesellschaft nach Worms, natürlich jedes Jahr zu den Festspielen oder auch wie im April dieses Jahres zur „Höfischen Tafel“ im Andreasstift. Zur Vernissage begrüßte Bürgermeister Georg Büttler; Werner Marx hielt eine Einführung in die Ausstellung und gab eine Definition von Kitsch. Dr. Olaf Mückain vom Nibelungenmuseum sprach die Dankesworte und die Gruppe „Weena“ begleitete musikalisch mit Ausschnitten aus ihrer Nibelungen-Oper. Für die Besucher gab es Sekt und kleine Leckereien. Unter ihnen war auch der ehemalige Kulturdezernent Gunter Heiland. Im Grunde ist diese Ausstellung ganz trivial und zeigt auf, was Comics, Sexfilme und Sammelbilder mit den Nibelungen zu tun haben. Zusätzlich wurde als Ergänzung im Nibelungenmuseum im dortig ehemaligen „Schatzraum“ und jetzigen „Mythen-Labor“ eine Kabinettausstellung mit Kinoaushangbildern und Plakaten der Nibelungenfilme der 60er Jahre („Die Nibelungen“, Teil 1 und 2 von Harald Reinl sowie „Siegfried und das sagenhafte Liebesleben der Nibelungen“ mit Raimund Harmsdorf) gezeigt. Zusätzlich präsentierte das Nibelungenmuseum zur Ausstellung innerhalb des jährlichen Museumsprogramms einen Vortrag mit Daniel Dietrich aus Ludwigshafen, der den Einflüssen der Mythen auf moderne Filmklassiker nachging. Dazu wurden entsprechende Ausschnitte der einschlägigen Filme von George Lucas, John Boorman und Harald Reinl gezeigt. Die Beispiele machten deutlich, dass die lichten Gestalten und diabolischen Figuren von Kultstreifen wie „Star Wars“, „Excalibur“ oder „Der Fluch des Drachen“ ihre Faszinationskraft aus den Archetypen antiker und vor allem mittelalterlichen Sagenquellen beziehen. Im Worms-Verlag ist für acht Euro ein gleichnamiger Katalog zur Ausstellung erschienen. Die Ausstellung „Nibelungen – Pop und Kitsch“ war die erste städtische Nibelungenausstellung zu Kunst (wenn auch Kitsch) seit 25 Jahren. Damals wurde „Das Nibelungenlied in der deutschen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts“ ausgestellt.
_Heike Makatsch: Liebeslyrik von Bob Dylan und Walter von der Vogelweide_
Zwar trennen die beiden 800 Jahre, aber sie haben viel gemein. Beide sind Außenseiter und Revolutionäre, geben in jungen Jahren ihre Heimat auf, um auf Wanderschaft zu gehen und mit ihren Liedern zu bezaubern und zu entzaubern. Bei beiden stehen die großen Themen Liebe und Gesellschaftskritik im Mittelpunkt. Sie genießen bereits zu Lebzeiten ein großes Publikum, sie singen von den Ärmsten und den Reichsten, Bob Dylan wird als einziger Songtexter sogar für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen. Und beide misstrauen ihrem eigenen Ruhm. Sie suchen vor allem nach einem: nach Freiheit und Unabhängigkeit vom Staat und von der Liebe. Film- und Fernsehstar Heike Makatsch hatte diese Lesung eigens für die Nibelungen-Festspiele zusammengestellt. Mitgeholfen an der Zusammenstellung hat ihr Joern Hinkel, der Regieassistent von Wedel, der das Projekt auch initiierte. Heike Makatsch hatte er 1999 eher zufällig beim Casting von Dieter Wedels „Affaire Semmeling“ kennen gelernt und seitdem hatten sie vor, etwas zusammen zu machen.
Heike Makatsch hatte 1995 in der Komödie „Männerpension“ von Detlev Buck ihren ersten Kinoauftritt. Dann folgte ein Filmhit nach dem anderen: „Aimée und der Jaguar“, „Nackt“ oder „Bin ich schön“. Im Fernsehen beeindruckte sie vor allem in Wedels Mehrteiler „Die Affaire Semmeling“ und in „Das Wunder von Lengede“. Seit 1999 ist sie auch im Ausland erfolgreich durch „Tatsächlich … Liebe“ neben Hugh Grant, Emma Thompsen und Liam Neeson.
_Ben Becker: Lesung aus „Berlin Alexanderplatz“_
Der Schauspieler Ben Becker las im Spiel- und Festhaus aus dem Roman von Alfred Döblin. Zwar gibt es keinen Bezug vom Roman oder Ben Becker zu den Nibelungenfestspielen, aber das war bislang bei der Auswahl des Rahmenprogramms auch nie entscheidend. Selbst Berliner und zudem bestens vertraut mit dem Roman durch die Inszenierung am Maxim Gorki Theater, für die Hörbuchlesung und Bühnenfassung, war er geradezu prädestiniert, dies in Worms zu tun. Die Leseszenen wurden zurückhaltend und sparsam musikalisch von Jacki Engelken und Ulrik Spies mit Geräuschtupfern untermalt. Drei Stunden las Becker kraftvoll mit tief vibrierender Stimme und dabei die Hauptfigur in authentischem Berliner Dialekt sprechend. Schon zur Pause wurde frenetisch applaudiert, da die meisten dachten, es sei schon Schluss. Am Ende wurde dann entsprechend genauso applaudiert. Anfragen, ob er im nächsten Jahr als Darsteller bei den Nibelungen-Festspielen dabei wäre, verneinte er. Er sei auf die nächsten zwei Jahre ausgebucht.
_Christian Quadflieg: Heinrich Heine_
Heine ist nach wie vor in Deutschland umstritten und wird von vielen als „Nestbeschmutzer“ kritisiert. Aber nach Johann Wolfgang von Goethe ist er sicherlich der größte Lyriker deutscher Sprache, nach Thomas Mann gar „die schönste deutsche Prosa bis Friedrich Nietzsche“. In diesem Jahr las Christian Quadflieg, der letztes Jahr Friedrich Hebbel las, aus Heines Lyrik, vor allem dessen „Deutschland. Ein Wintermärchen“. Die Veranstaltung fand im ganz neu erst eröffneten Lincoln-Theater der Stadt Worms statt und war wie die meisten Veranstaltungen des Rahmenprogramms früh ausverkauft.
_John von Düffel: Das Heroische und das Meer_
Düffel betreut seit 2002 die Nibelungenfestspiele als Dramaturg und las dieses Jahr im Rahmenprogramm Wassertexte von Schwimmern und anderen Heroen des feuchten Elementes aus seinen Bestseller-Romanen „Vom Wasser“ und „Houwelandt“.
_Theaterbegegnungen_
Dieses eintägige Event gehört zum Qualitativsten des jährlichen Rahmenprogramms.
Diesmal fand es nicht mehr wie früher im Herrnsheimer Schloss statt, sondern direkt im Heylshofpark neben der Festspielbühne am Dom. Glücklicherweise in großem Zelt, denn es prasselte den ganzen Tag sintflutartig der Regen, was aber nicht davon abhielt, die Theaterbegegnungen zu besuchen. Das Zelt war gut gefüllt. Es beginnt morgens immer mit Vorträgen, die im zweiten Jahr das Selbstverständnis der Deutschen zum Thema hatte. In diesem Jahr sprach Volker Gallé über „Die Sage vom Ursprung: Selbsthass und seine Folgen“, Wolf-Gerhard Schmidt über „Kelten, Germanen und Skandinavier – deutsche Identität in der Literatur zwischen Aufklärung und Romantik“ und Christian Liedke über „Heine und die Deutschen“. Liedke hatte sogar noch eine fußballweltmeisterliche Deutschlandflagge ans Vortragspult gehängt und lobte das neu entstandene Nationalgefühl. Allerdings war dieser Bezug zur WM-Euphorie eher ironisch gemeint, denn in seinem Beitrag ging es dann auch ausdrücklich um Heines Kritik an jeder Form von Nationalismus.
Danach sang Jasmin Tabatabai Lieder von Helden und großen Lieben. Es gehört zur Tradition der Festspiele, dass Stars und Publikum sich in kleinem Rahmen begegnen und immer wieder tragen die Stars auch zur Programmgestaltung bei. Jasmin Tabatabai saß – wie sie sagte, gerade aus dem Bett gefallen und noch völlig müde von den anstrengenden Aufführungen – mit ihrer Gitarre allein auf der Bühne. Sie ist aber als Musikerin genauso erfolgreich wie als Schauspielerin. Sie war die Sängerin der Frauenband „Even Cowgirls get the Blues“, komponierte fast den ganzen Soundtrack und sang die Songs zu dem Film „Bandits“ (wofür sie 1997 mit über 700.000 verkauften CDs eine goldene Schallplatte bekam) und brachte das viel beachtete Soloalbum „Only Love“ heraus.
Danach fand die Talkrunde „Der Held meiner Träume – der Traum vom Helden“ mit Regisseur Dieter Wedel, dem Literaturkritiker Helmut Karasek (der irgendwie noch bei der ZDF-Sendung zum Brecht-Jubiläum hängen geblieben schien, anstatt schon bei den Nibelungen gelandet zu sein), dem Siegfried-Darsteller Robert Dölle, der Journalistin Heike-Melba Fendel (Cosmopolitan, Marie-Claire, SZ-Magazin), dem Chefredakteur der BUNTEN, Paul Sahner, dem Oberstabsarzt der Bundeswehr Dr. Rico Deterding (er versorgte in Pakistan Erdbebenopfer) und dem Journalisten Rüdiger Suchsland als Moderator statt. Dieser Talk war sehr vergnüglich mitzuerleben, denn die Meinungen gingen weit auseinander. Besonders als Karrasek den verstorbenen Showmaster Rudi Carrell aufgrund dessen Umgangs mit seinem Tod als Helden bezeichnete, kam es zu starken Differenzen. Paul Sahner und Dieter Wedel sahen es wie Karrasek, dass dessen letzter Auftritt bei der Verleihung der Goldenen Kamera ein höchst würdevoller Akt gewesen sei. Dr. Rici Deterling dagegen sah darin kein Heldentum, vor allem da viele „Unbekannte“ auch an dieser Krankheit „unbekannt“ sterben. Und Heike-Melba Fendel befand Karrasek gar als zu „sentimental“ und bezeichnete die Art des Sterbens von Carrell als ein in der Medienlandschaft normales PR-Projekt, um möglichst beispielsweise in die BUNTE zu kommen. Was ein Held ist, kam bei der Debatte trotz vieler angesprochener Möglichkeiten nicht heraus, im Grunde verzettelte sich das Podium dabei immer mehr. Sogar Dieter Wedel selbst kam in die Auswahl, da er es wagte, in einer Titelgeschichte der BUNTEN zu gestehen, dass er mit zwei Frauen lebt. „Das hat uns 100.000 mehr Auflage gebracht“, bemerkte dazu Paul Sahner und forderte ein Denkmal für Wedel in Worms. „Wenn der so alt wird wie Johannes Heesters, habt ihr noch 40 schöne Jahre vor euch“. Nicht nur Männer, auch Frauen wie Sophie Scholl oder Mutter Theresa kamen in die Auswahl. Aber erneut sorgte Karrasek für Unmut, als er Condoleezaa Rice nannte, und dann kamen auch noch Maggie Thatcher und Angela Merkel in die Vorschlagsliste. Obwohl Moderator Rüdiger Suchsland am Ende den Faden verlor, war die Diskussion insgesamt recht fesselnd.
Aufgrund der halbstündigen Überziehung fand die wenige Meter weiter im Heylsschlösschen stattfindende Wiederholung einer letztjährigen Aufführung unter Leitung von Dr. Ellen Bender und Petra Riha von der Nibelungenlied-Gesellschaft mit literarischen Szenen und Erläuterungen zum „Rollenspiel der Geschlechter – Höfische Liebe zur Zeit des Nibelungenliedes“ nicht das erhoffte Publikum. Dies blieb im Zelt und sah noch den Abschluss des Tages mit Stephan Krawcyk, ausgezeichnet mit dem Preis „Das unerschrockene Wort“ der Lutherstädte, der seine Version von Heldentum zu Gehör brachte. Er besang dies in poetischen Liedern, rühmte die Liebe in vielen Facetten und las erheiternde Passagen aus seiner Biografie vor.
Alle Vorträge der Theaterbegegnungen finden sich [hier.]http://www.o-ton.radio-luma.net/php/130806__vortraege__nibelungenfestspiele-worms__2006.php
_Vortragsreihe der Nibelungenlied-Gesellschaft_
Auch diese täglich morgens bei freiem Eintritt stattfindende Vortragsreihe hat Tradition. Die einzelnen Vorträge dieses Jahr waren „Rückfall in die Barbarei – Medea und Kriemhild“ von Erwin Martin, „Elemente nationalsozialistischen Gedankenguts in Werner Jansens Nibelungenroman von 1916“ von Hans Müller, [„Der Zorn der Nibelungen“ 2609 von Irmgard Gephardt, „Motive antiker Sagen im Nibelungenlied“ von Eichfelder, „Nibelungendenkmäler in Worms“ von Gernot Schnellbacher, „Die Nibelungen – Pop und Kitsch (Vortrag zur Ausstellung)“ von Olaf Mückain und „Otto Höfler und Bernhard Kummer – Nibelungenforscher im NS-System“ von Volker Gallé. In der Regel erscheinen sämtliche Vorträge auch Internet unter www.nibelungenlied-gesellschaft.de. Eine Buchpublikation sämtlicher bisheriger Vorträge ist ebenso geplant.
_“Die Zaubergans“ – eine sinfonische Dichtung für Orchester, Chor und Solisten_
André Eisermann, der bei der Nibelungenaufführung den Burgwächter spielt, las und führte durch den Abend mit der Lucie-Kölsch-Jugendmusikschule und dem Chor des Rudi-Stephan-Gymnasiums (über 100 jugendliche Mitwirkende) unter Einstudierung von Daniel Wolf. Unter der Leitung von Reinhard Volz sind die Solisten Heike Dentzer, Christina Röckelein sowie Danilo Tepser und Martin Risch angetreten. Der Komponist Jakob Vinje hat als literarische Grundlage dafür eine jiddische Erzählung aus dem „Wunderbuch“ des Wormser Synagogendieners Juspa Schammes benutzt. Die 1669 in Amsterdam erstmals gedruckte „Wundergeschichte aus Warmaisa“, dem jüdischen Worms, hat 1905 der jüdische Historiker Samson Rothschild in konzentrierter Form und in deutscher Sprache veröffentlicht. Sie handeln von Verfolgung und Errettung aus Bedrohung und Not, von wundersamen Ereignissen und geheimnisvollen menschlichen Verstrickungen. Es handelt sich um eine jüdische Sage aus dem 14. Jahrhundert, die die Koexistenz von Juden und Christen im mittelalterlichen Worms zum Thema hat. Die Geschichte gibt es auch als Buch in einer neuen Bearbeitung durch die Journalistin Ulrike Schäfer und den Historiker Dr. Fritz Reuter, ergänzt durch weitere Texte sowie einen ausführlichen Kommentar.
Nach der erfolgreichen Zusammenarbeit der Wormser Lucie-Kölsch-Jugendmusikschule und dem Hamburger Komponisten Jakob Vinje bereits bei den Nibelungenfestspielen von 2002 und 2003 erhielt dieser einen Kompositionsauftrag der Stadt Worms, aus dem die „Zaubergans“ entstand. Premiere der Aufführung war bereits im letzten Jahr zu den Festspielen. Der Handlung der Sage hat Vinje eine Reihe von Gedichtvertonungen von Lasker-Schüler, Trakl, Rilke, Brecht u. a. gegenüber gestellt, die eine Art emotionalen Handlungsfaden bilden und die Erzählung musikalisch interpretieren. Eisermann wirkte in diesem Jahr dabei erstmals mit und erzählte mit eindrücklicher Intensität von der Geschichte zur Zeit der Pest, als in Worms die Juden beschuldigt wurden, die Brunnen vergiftet und den Krankheitsausbruch damit ausgelöst zu haben. Im Grunde ist es eine blutrünstige Geschichte, bei der fast alle Juden ausgelöscht und die Überlebenden mit der „Zaubergans“ ausfindig gemacht und dann ebenso getötet werden. Erst ein Pfarrer bereitet dem Treiben ein Ende und beweist den „Gläubigen“, dass auch auf dem Kirchdach eine Gans sitze, was den Mob überzeugen kann, das Morden einzustellen.
_Das Blaue Einhorn – Chansons aus der ganzen Welt_
Die Band „Das Blaue Einhorn“ aus Dresden bot Klezmer, Lieder und Tänze der Juden und Roma, Chansons, Fado, Rembetiko und Tangolieder. Der Name der Gruppe stammt von einem Fabelwesen, von dem der kubanische Sänger Silvio Rodrigues in seinem Lied „Unicornio“ erzählt, das mit seinem Horn Gesänge aus der Nacht einfängt. Seit zwölf Jahren macht die Gruppe Furore in der deutschen Folk- und Weltmusikszene und es gibt nur wenig andere Bands, die so stilsicher und gefühlvoll eine solche Vielzahl an Kulturen mischen, stilistisch und musikalisch aber über die Originale hinausgehen, indem sie etwas durch und durch Eigenes machen, das Ursprüngliche aber trotzdem erfüllen. Eingesetzt werden Gesang, Akkordeon, Trompete, Bauchgeige, Gitarre, Kontrabass, Cello, Bouzouki und Waldzither.
_Estampie-Konzert: Mittelalter trifft auf Moderne_
Erstaunliche Parallelen zwischen der Moderne und dem Mittelalter spiegeln sich in der Musik von Estampie wieder. Ihre Wurzeln liegen in der vielgestaltigen Musik und der komplexen Gedankenwelt des Mittelalters, ihre Inspiration beziehen die Musiker aus allen Bereichen gegenwärtiger musikalischer Ausdrucksformen. Estampie geht Einflüssen aus modernen Stilrichtungen wie Minimal Music, außereuropäischer Musik bis hin zur Popmusik nicht aus dem Weg. Estampie sucht die Begegnung und Überschneidung mit anderen Stilarten, denn dieser Crossover verstärkt die einzigartige Wucht und Schönheit, die in der Musik des Mittelalters liegt. Der Band-Name stammt von einer Tanzform des Mittelalters. Das Wort ist altfranzösisch und kommt vom Ausdruck für „stampfen“. Sie spielten im Wormser Dominikanerkloster.
_Yoshi Oida: „Interrogations“_
„Interrogations“ ist Körpertheater des japanischen Schauspielers Oida, das ohne Kulisse, Dekor und optische Effekte auskommt. Es lebt vom direkten Kontakt zwischen Schauspieler, Musiker, Publikum und dessen Konzentration und Imagination. Im Mittelpunkt der Performance steht die Praxis des Zen. Der Zen-Meister stellt viele Fragen an seine Studenten und auch Yoshi Oida richtet Fragen an das Publikum. Dieses ist eingeladen, Antworten zu finden durch Betrachtung und Wahrnehmung des Spiels von Oida und das Hören der Musik von Dieter Trüstedt.
Yoshi Oida wurde in Japan geboren und studierte dort Philosophie, die Künste des Nó-Theaters und des Kabuki. Er ging 1968 nach Paris und begann seine Karriere an der Seite von Peter Brook. Eigene Regiearbeiten folgten. Als Filmschauspieler arbeitete er mit Peter Greenaway und Joào Mario Grillo zusammen. Seit 1975 unterrichtet Oida in vielen Ländern Europas. Dieter Trünstedt ist promovierter Physiker und Künstler und spielt seit 1984 die Musik zu „Interrogations“ weltweit. Yoshi Oida ist nicht nur Künstler, sondern auch begnadeter Lehrer. Neben der Performance „Interrogations“ veranstaltete er während der Festspielzeit zusätzlich einen einwöchigen Workshop für junge Schauspielschüler, basierend auf den Praktiken der japanischen Kultur und des Nó-Theaters. Didaktisch befasst sich Oida mit der Entwicklung von Stimme und Körper. Im Zentrum stehen die verschiedenen Ausdruckselemente des Selbst und die Beziehungen zwischen den Schauspielern. Ursprünglich im Spiel des japanischen Nó-Theaters ausgebildet, arbeitet er mit der Avantgarde des modernen japanischen Schauspiels zusammen und setzte seine künstlerische Entwicklung in Europa fort. Der Kurs war auf 20 Personen begrenzt, unterrichtet wurde in Englisch.
_Siegfrieds Nibelungenentzündung – Darmstädter Kikeriki-Theater_
Seit drei Jahren ist dieses Blechspektakel mit im Rahmenprogramm, immer binnen weniger Tage ausverkauft und somit ein Dauerbrenner im Kulturprogramm der Festspiele. Dieses Jahr an zwei Tagen im Spiel- und Festhaus. Das Spektakel dreht sich um Siggi, Albi und den smarten Lindwurm und erzählt die Geschichte der Nibelungen, wie sie wirklich war. Vorgetragen in breitestem Hessen-Dialekt, gewürzt mit deftigen Sprüchen und immer wieder verfeinert durch verblüffend schlagfertige Situationskomik.
_“Der letzte Drache“ – Mitmachstück für Kinder_
Hier konnte der ganz kleine Schauspielnachwuchs ab vier Jahren sein Können in der Jugendbücherei unter Beweis stellen. Und über 100 Kinder standen zur Vorführung auch mit ihren Eltern Schlange für das Einpersonenstück zum Mitmachen.
_Verleihung „Buch des Jahres 2005″_
Dieser Preis an rheinland-pfälzische Autoren wurde bereits vor einigen Jahren ins Rahmenprogramm der Festspiele integriert. Der mit 1500 Euro verbundene Preis ging an Gabriele Weingartner für ihren Erzählband „Die Leute aus Brody“ (Verlag Das Wunderhorn). Außerdem erhielt Christa Estenfeld für ihren Erzählband „Buffalo Bills Sattel“ (Edition Artfusion) den vom verdi-Fachbereich Medien, Kunst und Industrie Rheinland-Pfalz-Saar gestifteten Sonderpreis der Jury in Höhe von 500 Euro. Den musikalischen Rahmen der Verleihung gestaltete die Bundespreisträgerin „Jugend musiziert“ Julia Panzer (11 Jahre, Cello) und Friedrich Skrabal (Kontrabass) von der Lucie-Kölsch-Musikschule der Stadt Worms. Der Preis „Buch des Jahres“ wird seit 1989 regelmäßig vergeben und durch Fördermittel des rheinland-pfälzischen Kulturministeriums und des verdi-Fachbereichs unterstützt, die Preisverleihung selbst zudem von der Nibelungenlied-Gesellschaft Worms.
_Sonstiges_
Am 12. Mai war es so weit und das neue Ensemble und das Rahmenprogramm wurden im Weingut Schloss Wachenheim der Öffentlichkeit vorgestellt. Mit Dieter Wedel sind neben Moritz Rinke die Kriemhild-Darstellerin Jasmin Tabatabai und die Darstellerin der neu erfundenen Figur Isolde, Sonja Kirchberger, in die Pfalz gekommen. Die Anekdoten, die sie auf dem Podium erzählten, waren so amüsant wie aufschlussreich. Wedel liebt das Unerwartete, Überraschende. So hat er die zarte, dunkelhaarige, in Teheran geborene Tabatabai nicht für die traditionell dunkle Brünhild verpflichtet, sondern eben für die urdeutsche Kriemhild. Auf sie gekommen war er durch eine Talkshow, in der sie heftig mit einem Maler gestritten hatte.
Rinke war recht überrascht gewesen, aus seinem Stück einen Zweiteiler machen zu sollen, hatte aber schnell die Chancen erkannt, die sich dadurch ihm bieten. „Ich habe dafür Wedel verflucht, jetzt könnte ich ihn küssen“. Um Brünhild – das Stück heißt ja „Siegfrieds Frauen“ – mit aufzuwerten, hat er als Gesprächspartnerin die Isolde dazuerfunden, eine höchst vitale Person, die dem ganzen Burgunderhof, einschließlich Hagen, den Kopf verdreht.
Vertreter der Politik und der Wirtschaft hatten ebenso das Wort und Ben Becker stellte das Rahmenprogramm der Festspiele vor. Das Schlusswort hatte dann Dieter Wedel selbst, und als eigentlicher Hauptstar der ganzen Sache erzählt er auch immer am längsten.
Eine Woche nach der Pressekonferenz auf Schloss Wachenheim füllte sich dann bereits die Gästeliste für die Premiere. Fast alle bekannten Prominenten, die erschienen (siehe den Anfang des Essays) standen da schon fest und den meisten, die im vergangenen Jahr bei der Premiere dabei waren, hat es so gut gefallen, dass sie die diesjährige offenbar nicht verpassen wollten.
Die Repräsentanten des öffentlichen Lebens in Worms konnten schon sehr früh im Juli mit den Nibelungen-Stars plaudern. Jährlich lädt der Oberbürgermeister diese zum Empfang ins Herrnsheimer Schloss ein. Dazu war auch Dieter Wedel mit einer ganzen Riege des Ensembles gekommen. Ganz offensichtlich war das für Jasmin Tabatabai, Valerie Niehaus oder Renate Krößner (die ihre Rolle als Ute kurz darauf wieder von Wedel gekündigt bekam) keineswegs ein „Pflichttermin“. Es gab Wein der Wormser Jungwinzer, die sich zur Gruppe „Vinovation“ zusammengeschlossen haben, außerdem viele Gespräche bis zum späten Abend. Auch Dieter Wedel hatte es nicht eilig und plauderte über seine neue Inszenierung. Solch ein Jahresempfang hat viele Programmpunkte und der Park war bis zum späten Abend bevölkert.
Das komplette Ensemble konnte dann zum ersten Mal komplett „bestaunt“ werden an dem Tag, als die Proben mit einer Leseprobe des kompletten neuen Rinke-Textes begann. Bevor diese begann, lud Dieter Wedel zum nächsten kurzen Pressetermin, ein Zeitpunkt, zu dem sich das Ensemble selber zum ersten Mal sah, aber zum Teil auch herzlich in die Arme fiel. Von der alten Besetzung waren ja nur noch Wolfgang Pregler, André Eisermann und Thilo Keiner übrig geblieben.
Erstmals begann man auch gezielter auf Messen für die Nibelungen-Festspiele zu werben. Eigentlich tritt bislang die Stadt Worms ja nur auf der Touristikmesse in Berlin auf, aber dabei nicht nur Festspiel-bezogen. Nunmehr gab es aber einen Auftritt auf der Nibelungenland-Ausstellung in Viernheim, was für viele dortige Besucher interessant war, die rege die Möglichkeit des Ticketkaufs am Stand nutzten. Dass nun mehr über Messen getan wird, liegt vor allem an den Stadtmarketing-Aktivitäten des neuen Stadtmanagers Stefan Pruschwitz.
Mit all den kurzfristigen Ideen ist es für Wormser vielfältig möglich, irgendwie an den Festspielen direkt beteiligt zu sein. Alles Mögliche, was spontan gebraucht wird, ist in der Wormser Zeitung mit entsprechender Telefonnummer ausgeschrieben. So z. B. das Hundecasting, der Saxophonist und Fanfarenbläser, aber auch ein Holzleiterwagen mit Platz für acht Personen, fahrtauglich für den Einsatz in der Sachsenschlacht, wurden auf diese Weise von der Requisitenabteilung gesucht.
Sogar die Natur unterstützte – abgesehen vom tatsächlichen Wetter während der Aufführungen – mit einem Omen die diesjährigen Festspiele. Ein Zeitungsleser schickte ein entsprechendes Bild vom Wormser Himmel an die WZ, das diese auch abdruckte. Dort sieht man im blauen Abendhimmel exakt das Kreuz des Nibelungen-Logos der Festspiele, gebildet durch zwei Kondensstreifen.
Sehr vergnüglich sind die täglich stattfindenden _öffentlichen Pressegespräche_ mit allen Schauspielern unter Moderation der Wormser Zeitung. Im letzten Jahr hat diese Veranstaltungsidee begonnen und dort kann jeder Interessierte die Schauspieler aus direkter Nähe ohne Kostüm sehen und hören. Im lockeren Gespräch erzählen die Ensemblemitglieder über sich, die Festspiele und ihre beruflichen Erlebnisse und Pläne. Der Eintritt dabei ist frei.
Zwar kam der Innenminister Wolfgang Schäuble aufgrund der versuchten Terroranschläge in London nicht zur Premiere, aber für seine Sicherheit wurde großer Aufwand betrieben. Beamte des Bundeskriminalamts sondierten den Heylshof, den Park und auch das Festivalgelände mit Bühne und Backstage-Bereich. Man achtete genau auf mögliche Verstecke für Angreifer und legte die Plätze fest, wo die Sicherheitskräfte und Bodyguards des Ministers Platz nehmen würden. Kurz vor der Vorstellung zur Premiere wurden noch einmal Polizeibeamte mit Suchhunden eingesetzt, die das Gelände nach Sprengstoff untersuchten.
Auch Angebote zu den Nibelungen, die über das ganze Jahr verteilt sowieso laufen, wurden von Festspiel-Besuchern gerne wieder angenommen. Z. B. unternahm der Wormser Nibelungen-Herold Nachtführungen durch das geheimnisvolle Worms des Mittelalters, und Kriemhilds Zofe Fredegunde unternahm tagsüber inszenierte Gästeführungen im historischen Kostüm. Mehr zum jährlichen Programm der Nibelungen-Thematik findet sich unter www.nibelungenmuseum.de, der freie Eintritt ins Museum ist zu den Festspielen immer über das Veranstaltungsticket gewährleistet.
Bereits im vierten Jahr versteigert die Wormser Hobby-Malerin _Sieglinde Schildknecht_ ihre Bilder, die von den Festspielen inspiriert sind. Signiert sind diese Bilder immer mit den Unterschriften der Schauspieler und der Erlös kommt wie in den Vorjahren dem Wormser Tierheim zu. Erstmals hatte dieses Jahr auch Intendant Dieter Wedel unterschrieben. Die Auktion endete am 29. September 2006, die Abwicklung übernimmt wie in den Vorjahren das Resteraunte „La Forchetta“ der Familie Vallone in der Wollstraße in Worms. Am 4. Oktober übergab der Landtagsabgeorndete Jens Guth (SPD) das Gemälde dann im Vereinsheim des Tierschutzvereins dem Gewinner der Versteigerung.
Außerhalb des „offiziellen“ Rahmenprogramms gab es auch in der Volksbank Worms-Wonnegau noch eine Ausstellung „_Die Kunst und das Lied_“. Ortsansässige Künstler – Horst Rettig, Anna Bludau-Harry, Petra-Marlene Gölz, Gabi Krekel und Anita Reinhard – stellten in deren Foyer ihre Werke aus. Die Werke von Horst Rettig standen zuvor schon im Mainzer Staatstheater. 29 Nibelungen-Bilder gab es in der Volksbank – die von Anfang an zu den Sponsoren der Festspiele gehört – zu bewundern. Zur Eröffnung spielte das Klarinetten-Duo der Jugendmusikschule, Christina und Mareike Hüll.
Wie in den Jahren zuvor, wurde auch ein neues Schmuckstück präsentiert. Bisher konnte man den Nibelungen-Ring, gestaltet durch den Künstler Eichfelder, in Gold und Silber erwerben. In diesem Jahr stellte Annette Kienast-Kistner einen weiteren goldenen Pax-Ring vor, den sie in Anlehnung an das Nibelungen-Denkmal auf dem Torturmplatz nach einem Entwurf von Horst Rettig gefertigt hat.
Da _Dieter Wedel_ als Workaholic seinen Ruf hat, verwunderte es nicht, dass er während der 14-tägigen Festspielzeit in den „Freiräumen“ regelmäßig stundenlang im alten Bäderhaus in Pfeddersheim mit Filmeditorin Patricia Rommel seinen neuen Fernsehfilm schnitt. Diese und ihr Assistent hatten bereits im Vorfeld einen „Rohschnitt“ erarbeitet. Alle gedrehten Einstellungen sind im Comupter in Ordner einsortiert und die Cutterin (wie dieser Beruf früher hieß) bietet Wedel „Takes“ (also Einstellungen) an, die Wedel überprüft und verändert. Gedreht wurde dieser eineinhalbstündige Film „_Mein alter Fritz_“ vom 30. März bis 6. Mai und er kommt im Januar 2007 ins ZDF. „Es ist der Versuch, einen heiteren Film zu machen über Probleme im Krankenhaus, über den Tod und was danach kommt“ (Wedel). Es spielt wie gewohnt ein Staraufgebot. Im Mittelpunkt steht Chefarzt Harry Seidel, gespielt von Ulrich Tukor, seine Gattin Lydia mimt Veronica Ferres. Außerdem mit dabei sind Maximilian Brückner, Otto Schenk, Uwe Bohm und Anna Hausburg. Und etliche aus Wedels Nibelungen-Ensemble der bisherigen Festspieljahre: Robert Dölle, Wolfgang Pregler, Valerie Niehaus, Wiebke Puls, Dominique Voland (Wedels Lebensgefährtin, die in diesem Jahr mit in Worms agierte) und sein Regie-Assistent Joern Hinkel.
Seit September letzten Jahres unterhalten die Nibelungen-Festspiele sogar zwei _Ausbildungsplätze_, deren Inhalt es ist, kulturelle Veranstaltungen zu organisieren und zum Erfolg zu bringen. Seit einem Jahr gehören dadurch Katharina Fehlinger und Lina Kolling zum Festspielteam. Bisher waren sie in den Abteilungen Marketing, Pressearbeit, Sponsoring und Buchhaltung tätig und nun war die 21-jährige Katharina Fehlinger für den reibungslosen Ablauf der Premiere mitverantwortlich und die 23-jährige Lina Kolling betreute im Betriebsbüro das künstlerische Team mit Rat und Tat. Der berufliche Begriff ihrer Ausbildungen ist „Veranstaltungskauffrau“.
Wie immer zu den Festspielen tagte unter Leitung des Vorsitzenden Peter Weck das _Kuratorium der Nibelungenfestspiele_ im Heylshof. Etwa die Hälfte der Mitglieder war anwesend. Neben den Wormsern Gernot Fischer (Ex-Oberbürgermeister) und Gunter Heiland (Ex-Kulturdezernent) waren Jürgen Kriwitz (freier Produktionsberater aus Hamburg) und Intendant Dieter Wedel dabei, Eggert Voscherau (stellvertretender Vorstandsvorsitzender der BASF) und Kultusminister Jürgen Zöllner hatten Stellvertreter entsandt. Zentrales Thema war die Suche nach potenten Sponsoren. Weitere Firmen, deren Spitzenvertreter man ansprechen werde, wurden genannt. Ziel des Oberbürgermeisters Michael Kissel ist es natürlich, den städtischen Zuschuss, der nach 800.000 Euro im letzten Jahr dieses Jahr nur noch 600.000 Euro betrug, noch weiter zu verringern. Der Gesamtzuschussbedarf liegt bei 2,3 Millionen Euro und muss über Landeszuschüsse und Sponsorengelder gedeckt werden. Bislang sieht es so aus, dass das diesjährige Gesamtbudget von 4,7 Millionen Euro eingehalten werden konnte. Dies kann aber erst nach endgültiger Abrechnung feststehen.
In der letzten Festspielwoche besuchten dann auch Vertreter der rheinland-pfälzischen Landesregierung die Aufführung, um sich doch einmal ein Bild zu machen. MdL Manfreid Geis (Vorsitzender Kulturpolitischer Ausschuss des Landtags), Staatssekretär Dr. Joachim Hoffmann-Göttig (Kultusministerium RLP) und Staatssekretär Roger Lewentz (Innenministerium RLP) waren begeistert von dem, was ihnen geboten wurde. Natürlich kam auch nach der Premiere öfters noch ganz andere Prominenz zu den Aufführungen, die sehr oft namentlich auch in den lokalen Zeitungen genannt wurde, was allerdings den Rahmen dieses Essay überziehen würde.
Auf den Straßen begegneten einem ständig auswärtige Festspielbesucher, die nach besonderen „_Nibelungen-Mitbringsel_n“ fragen; diese gibt es natürlich zur Genüge. Beispielsweise seit vielen Jahren als „Nibelungenschatz“ – ein köstliches Mandelgebäck in festen Schatztruhen – vom Konditor Theo Schmerker, Inhaber des Café Schmerker in der Wilhelm-Leuschner-Straße.
Aber fündig wird man zur Festspielzeit auch alleine, wenn man durch die Innenstadt läuft. Die Ladenbesitzer nutzen natürlich den Werbeeffekt und tragen im Gegenzug auch mit ihren Schaufenster-Gestaltungen zur Nibelungen-PR bei. Dieses Jahr waren gleich in mehreren Schaufenstern in der Innenstadt die Originalkostüme der Nibelungen aus der Theaterproduktion von Karin Beier ausgestellt. Im Erdgeschoss im Haus zur Münze war das prunkvolle Gewand von König Etzel mit der meterlangen bunten Schleife zu sehen. Bei Optik Meurer hing der Umhang von Wiebke Puls alias Brunhild, ergänzt mit vielen Fotos der Inszenierung. Die ganze Schaufensterfront des Kaufhofs war von den Nibelungen belegt und wurde nach einem Umzug auch in der Ludwigshafener Filiale des Kaufhofs präsentiert. Manuela Liebig von den Nibelungen-Festspielen betreut diese Aktionen und stellt auf Anfrage auch im nächsten Jahr Interessenten Dekorationsmaterial plus Poster und Flyer zur Verfügung.
Sonja Kirchberger, die Wurstbrötchen liebt und zu deren Kauf regelmäßig in die Metzgerei „Hasch“ mitsamt Kind, Ehemann und Hund kam, hat, weil ihr diese so gut schmeckten, an die Eingangstür ein dickes Herz gemalt und mit Autogramm hinterlassen.
Das Wormser Sportstudio Black & White sponsert die Festspiele, indem es den Schauspielern kostenlose Trainingseinheiten spendiert, was von einigen der Schauspieler auch genutzt wird, um ihre Muskeln und vor allem Kondition aufzubauen.
Was wohl niemanden wundert, ist die Tatsache, dass alle Wormser Hotels nur lobend über die Festspiele sprechen, denn alle Unterkünfte sind natürlich voll belegt.
Ilka Ivanova Becker war bei den Festspielen als Dolmetscherin für den bulgarischen Schauspieler Itzhak Fintzi, der den Etzel spielte, tätig. Sie übersetzte ihm alle Regieanweisungen und umgekehrt seine Worte für die Schauspielerkollegen, außerdem war sie Sprachlehrerin für Maria Schrader, die in ihrer Rolle als Kriemhild ebenfalls bulgarisch sprechen musste. Eine weitere Aufgabe betraf die kyrillischen Texte der Etzel-Rolle. Die versierte Dolmetscherin und Diplom-Philologin, die im Stadtteil Heppenheim lebt, wurde nun zum Dr. phil. promoviert. Für ihre Doktorarbeit erhielt sie den Jürgen-Frietzenschaft-Promotionspreis des Vereins zur Förderung des Instituts für Deutsch als Fremdsprachenphilologie der Uni Heidelberg.
_Erwähnenswertes im Rückblick auf die Probenzeit_:
Die Proben dauerten täglich zehn bis zwölf Stunden und auch an Samstagen und Sonntagen von mittags ca. 15 Uhr und gingen bis zwei, drei Uhr in den Morgen (was für Anwohner natürlich eine Herausforderung an Belästigung darstellt). Das umfasste sowohl die Schauspieler wie auch die Statisten und diejenigen, die im Hintergrund arbeiten (Technik etc.). Ganz skurril war es, dass es ab der Premiere nur noch regnete und richtig kalt war, denn die ganze Probenzeit hindurch gab es eine etwa zweimonatige unerträgliche Hitze. Zwar wurde erst ab dem 8. August zur ersten offiziellen Hauptprobe in voller Montur gespielt, aber bis dahin war es auch in den Probekostümen von der Hitze her eine richtige Herausforderung. Mit am heißesten waren die Drehtermine für den Einspielfilm, in dem es um die abgewiesenen Brautwerber Kriemhilds ging. Das war bei großer Hitze ein schweißtreibender Dreh in schwerem Brokat und Rüstungen. Doch man klagte nicht über die Hitze. Aber sobald mal 15 Minuten Pause angesagt waren bei den täglichen Proben, stürmten alle Akteure ins Cateringzelt auf dem Platz der Partnerschaft, um ihre durstigen Kehlen zu kühlen. So haben in diesem Jahr die Schauspieler zwei sehr gegensätzliche Extreme durchlebt.
Eines der ungewöhnlichsten Probeereignisse waren sicherlich die Einübung der finnischen Nationalhymne und die finnischen Lektionen für die Komparserie. Neu in Rinkes Nibelungen-Interpretation war ja auch, dass finnische Bewerber bei Brunhild auf Island erscheinen. Bei ihrem Eintreffen wurde von den Komparsen die finnische Nationalhymne angestimmt. Da Finnisch auch nicht gerade zu den gängigen Sprachen gehört, wurde eine Sprachlehrerin engagiert, die alle anleitete, wie z. B. Brünhild als Königin anzusprechen ist: „kunigatterareni“. Die Betonung liegt auf der ersten Silbe und die beiden „t“s werden nicht gesprochen. Richtig schwieriges Training war das.
Die ersten Besucher, die bei Proben anwesend sein durften, waren zwölf Jungreporter, die im Rahmen der Ferienspiele der Stadt am Projekt „Mit der WZ auf Reportagetour“ teilnahmen. Sie durften auf die Bühne, in die Waffenkammer und ins Atelier der Bühnenbildnerin. Was sie recherchierten, fotografierten und schrieben, war auf einer Sonderseite der WZ zu lesen, die sie selbst erstellten.
Auf der ersten Medienprobe gab es dann eine Überraschung. Regie-Assistent Joern Hinkel spielte die Königsmutter Ute. Hintergrund war, dass die dafür verpflichtete Renate Krößner von Wedel gekündigt war, da er sie beim Umsetzen der Szenen für zu langsam empfand. Krößner ist dem Kinopublikum durch „Liebling Kreuzberg“ oder „Helden wie wir“ bekannt. Bis man dann Ute Zehlen als Ersatz fand, wurde eine ganze Zeit ohne eine weibliche Ute geprobt. Zur Medienprobe reisten zahlreiche Fernsehteams, Hörfunkreporter und schreibende Journalisten an. Vorgeführt wurden dafür zwei Szenen: die Ankunft Siegfrieds am Burgunderhof und die von Rinke neu geschriebene Szene der Ankunft der Burgunder in Brunhilds eisiger Welt. Anschließend ließen sich alle Schauspieler interviewen. Und wer wie ich regelmäßig die Probenberichte in den Zeitungen verfolgte, entdeckte auf einigen Bildern Fotos mit Szenenbeschreibungen, die in der Endfassung dann doch wieder gestrichen waren.
_Ausblick_
Der zweite Teil wird „Die letzten Tage von Burgund“ heißen und mit dem Eheleben Gunthers und Brünhilds beginnen. Das Stück setzt noch ein wenig vorm Ende des ersten Teils an, so dass auch Siegfried noch einmal seinen Auftritt haben kann. Er war ja am Ende des ersten Teils bereits ermordet worden. Im zweiten Teil kommen Siegfried und Kriemhilde noch mal am Wormser Hof zu Besuch, die einstigen Themen kochen wieder hoch und das Drama beginnt. Es ist im Grunde ein eigenständiges neues Stück, das man auch sehen kann, ohne den ersten Teil gesehen zu haben. Mehr zum Inhalt auch oben unter „Besetzung“, dort unter „Moritz Rinke“.
Dieser zweite Teil wird wieder auf der Nordseite des Domes stattfinden. Ohne Dom sind die Festspiele im Grunde undenkbar, aber es ist jedes Jahr erneut ein harter Kampf, denn das Gotteshaus wird jährlich in seinem eigentlichen Zweck sehr stark beeinträchtigt. Mit Beginn des Bühnenaufbaus war dieses Jahr wieder das Südportal – der eigentliche Haupteingang des Doms – nicht mehr zugänglich und die Besucher mussten über den normalerweise ungenutzten Eingang Nordportal in den Dom gelangen. Auch der Domplatz selbst am Südportal ist mit Bauzäunen sehr früh komplett abgesperrt. Um die Finanzen etwas zu verteilen (der Aufbau der Technik und der Bühne ist das Teuerste), soll in Zukunft die Festspielzeit länger als zwei Wochen gehen. 2008 wird wahrscheinlich drei Wochen gespielt, erneut auf der Südseite des Doms, und dabei der erste und der zweite Teil abwechselnd zur Aufführung gebracht werden. Der Wunsch Rinkes, in einer langen Aufführung beide Teile hintereinander zu spielen, wird bislang von Dieter Wedel abgelehnt, da er das für eine zu große Zumutung für die Zuschauer wie auch für die Einwohner einstuft. Und 2009 wird es wieder ein ganz neues Stück geben, wo der Schreiber bereits von Regieassistent Joern Hinkel und Dramaturg John von Düffel gesucht wird. Ob Dieter Wedel seinen Fünfjahres-Vertrag, der 2008 ausläuft, überhaupt verlängert, ist von diesem bislang nicht zu erfahren.
Alle diese Pläne – wo und wie lange – müssen allerdings erst noch vom Stadtrat und vom Aufsichtsrat entschieden werden, wobei derzeit aufgrund der Wettererfahrungen darüber nachgedacht wird, ob man nicht die Aufführungen bereits im Juli anstatt wie bislang im August durchführen sollte.
Auch für Veranstaltungen des Rahmenprogramms empfiehlt sich eine frühzeitige Kartenreservierung. Auch in diesem Jahr zeigte sich, dass fast alle Veranstaltungen sehr bald ausverkauft waren.
Seit letztem Jahr im Gespräch ist auch die Aufführung eines Nibelungen-Musicals von Dieter Wedel, das der Wormser Schauspieler Eisermann sehr unterstützt. Auch setzt sich Eisermann, der aus einer Schausteller-Familie stammt, für einen Nibelungen-Freizeitpark in Worms ein. Vermischt in diesem Projekt sind Schauspielerei und Schaustellerei. Ein prächtiges Spektakel mit Drachen, Schätzen, Waffen, Wildwasserfahrten und Achterbahnen – was die Nibelungen von ganz anderer Seite her nochmals in ganz Deutschland bekannt und berühmt machen würde. Zwei mögliche Sponsoren und der Oscar-gekrönte Filmausstatter Rolf Zehetbauer hätten schon Interesse gezeigt, sagte Eisermann in einem Interview mit der dpa. Denkbar sei das Projekt in den nächsten fünf bis sieben Jahren. Von Seiten der Stadt gibt es in beiden Fällen noch kein grünes Licht, denn beides erfordert hohes finanzielles Risiko, und gerade was den Freizeitpark angeht, braucht es einen sicheren privaten Initiator – einen solchen würde die Stadt natürlich auch unterstützen. Aus städtischen Mitteln zu finanzieren sind beide Vorschläge nicht.
Was funkende Ideen angeht, wäre man eigentlich gut beraten, die in Worms ansässige Journalistin Ulrike Schäfer zu befragen. Denn sie kennt sich als Mitglied der Nibelungenlied-Gesellschaft bestens aus und bot als Chefredakteurin des „Wormser Wochenblatts“ auch schon einige Themen an. Sie schlug vor, der frustrierten Brünhild doch mal eine Affaire mit Hagen anzudichten, um ihn für ihre Rachezwecke einzuspannen, denn er bringt ja auch schon alle Qualitäten, die sie sucht, mit. Auch einen One-Night-Stand zwischen Giselher und Brunhild fände sie gut, dann aber möglichst mit Andre Eisermann als Liebhaber. Einen schwulen Siegfried hatten zwar schon Petra Riha und Heike Feldmann aus Worms in einer Szene herausgearbeitet, aber für ausbaufähig hält sie auch dieses Thema durchaus noch. Im Stil der Zeit könnte auch Siegfrieds Mord ein einfacher Motorradunfall sein. Hagen könnte ja irgendwie ’ne Schraube lockern und bei Nierstein oder Nackenheim ist es dann so weit. Aber sie persönlich würde auch gerne in Worms mal „Die lustigen Nibelungen“ von Oskar Straus sehen.
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_Veranstalter_ des kompletten Events sind die
Nibelungen-Festspiele GmbH, Bahnhofstr. 4, 67547 Worms
_Intendant_ Dieter Wedel
_Aufsichtsratsvorsitzender_ Micheal Kissel
_Geschäftsführer_ Ulrich Mieland, Thomas Schiwek
_Künstlerischer Betriebsdirektor_ James McDowell
_Aufsichtsrat_ Ernst-Günter Brinkmann, Theodor Cronewitz, Petra Graen, Alfred Haag, Hans-Werner Kloster, Heidi Lammeyer, Kurt Lauer, Astrid Perl-Haag, Hans-Joachim Rühl, Ilse Seiler, Elke Stauch
_Kuratorium_ Prof. Hark Bohm, OB a.D. Gernot Fischer, Gunter Heiland, Prof. Dr. Hellmuth Karasek, Jürgen Kriwitz, Karl Kardinal Lehmann, Dr. Elke Leonhard, Prof. Dr. Jan-Dirk Müller, Dr. Friedhelm Plogmann, Karlheinz Röthemeier, Prof. Armin Sandig, Markus Schächter, Bundesministerin Dr. Annette Schavan, Eggert Voscherau, Prof. Peter Weck, Prof. Dr. Jürgen Zöllner
_Rahmenkulturprogramm_ Petra Simon, Volker Gallé, Joern Hinkel
_Pressesprecherin_ Simone Schofer
_Umsetzung gestalterische PR_ Thorsten Oparaugo
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_Interessante Zusatzlinks:_
Weitere Artikel und Berichte unter http://www.wormser-zeitung.de/wasnlos/nibelungenfestspiele
http://www.nibelungenmuseum.de
http://www.nibelungenfestspiele.de
http://www.nibelungenlied-gesellschaft.de
Verweisen möchte ich auch auf den Festspielbericht von 2005 unter http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=50.
|Grundlage des Berichtes bildeten die Auswertung der Berichterstattungen in der lokalen Presse sowie die eigene Teilnahme am Geschehen.|
Interviews
10. Oktober 2006 Berthold Roth
LIEBE, HASS UND EIFERSUCHT
Siegfrieds Frauen
Waren anfangs in der Bevölkerung die Festspiele wegen der hohen Kosten umstritten, identifiziert sich mittlerweile im fünften Jahr der Veranstaltung die Mehrheit der Wormser mit dem jährlichen Großereignis. Man ist erfreut, dass der Kultur in Worms endlich der Stellenwert wieder zuerkannt wird, der ihr aus der Geschichte her schon lange gebührt. In den meisten Städten stagniert die Kultur, Worms dagegen investiert gegen den Mainstream. Diesen Umstand hatte auch schon der große Konzertveranstalter Fritz Rau bei seiner Lesung im Programm des diesjährigen Wormser Jazzfestivals thematisiert, die Stadt Worms als Ausnahmeveranstalter gelobt und erklärt, dass er solches Engagement und finanzielle Unterstützung für Kultur kaum zuvor kennen gelernt habe.
„Von helden lobebaeren und großer arebeit“
Nach Karin Beiers Inszenierung von Friedrich Hebbels Nibelungen der letzten beiden Jahre war für 2006 wie auch für 2007 wieder Moritz Rinke verantwortlich, der auch schon das Stück für die Aufführungen von 2002 und 2003 schrieb. Allerdings war es keine Wiederholung, sondern Wedels Überarbeitung hat das Werk im Grunde auf zwei Teile angelegt. Die ersten Kritiker vermuteten dahinter Strategie, denn wer den ersten Teil gut fand, will auch den zweiten sehen. Im Grunde typisch für Wedels Fernseharbeiten. Der erste Teil (ein dreistündiges Spektakel um Liebe, Verrat und starke Weibsleute) „Siegfrieds Frauen“ wurde in diesem Jahr der Öffentlichkeit vorgestellt. Wo Karin Beier im letzten Jahr auf die starken Hebbel-Dialoge setzen konnte, lässt Wedel die Macht der Bilder sprechen und nutzt zudem die Fläche vor dem Wormser Dom vollständig aus. Dabei schwirren bis zu fünfzig Personen gleichzeitig herum und auch die imposanten Bäume sind mit in das eigentliche Spielgeschehen einbezogen. Sehr positiv ist, dass Wedel die Kritik an der damaligen Rinke-Inszenierung sehr ernst nahm und die als störend empfundenen Gags auf ein Mindestmaß zurückgefahren hat, was bewirkt, dass das Stück insgesamt ernsthafter und weniger slapstickhaft daherkommt. Das wird besonders bei Siegfried deutlich. Dieser feierte 2006 sein Comeback als ernst zu nehmender tragischer Held. Ansonsten orientiert sich das Stück weitgehend an den Aufführungen von 2002 und 2003. Immer wieder wird auch dezent die Stadt Worms in die Handlung mit eingebaut. König Gunther trinkt Flörsheim-Dalsheimer Wein, Andre Eisermann macht köstliche stadttypische Scherze auf „wormserisch“ oder Hagen und Isolde wollen für ein „Date“ im „Wäldsche“ (dem Wormser Naherholungsgebiet) verschwinden. Mehr zum Inhaltlichen des Stückes auch weiter unten unter „Besetzung“ und dort unter „Moritz Rinke“.
Gespielt wurde wie in den ersten Jahren wieder auf der Südseite des Doms (die letzten beiden Jahre gab es die Festspiele auf der Nordseite). Mit 2450 Plätzen standen somit für die gesamte Dauer 13550 Sitze mehr als in den Vorjahren zur Verfügung. Anders gerechnet, gab es 2005 19000 Plätze und in diesem Jahr 32000 Plätze. Oder statt 1450 2450 pro Abend.
Schon der Vorverkauf übertraf das Vergleichsjahr 2005. Recht bald waren die Premiere wie auch alle Wochenendaufführungen inklusive der Freitage ausverkauft. Neu war auch der mögliche Besuch der Generalprobe – was in den Vorjahren nicht möglich war – zu sehr günstigem Preis (5 Euro), die einem wohltätigen Zweck zufließen: der Kinderklinik des Stadtkrankenhauses. Alle 1000 Lose waren Gewinne, wenn auch nur 750 Aufführungskarten. Die anderen 250 Karten waren 100 Karten für Führungen hinter der Kulisse, 100 Familienkarten fürs Nibelungenmuseum sowie 50 Einkaufsgutscheine der WZ. Hinter dieser Aktion standen die Wormser Zeitung, die Nibelungenfestspiel GmbH und der Wormser Oberbürgermeister Michael Kissel. Initiator der Aktion war Kissel, weil er wollte, dass diejenigen, die nie reguläre Karten kaufen, sich dennoch mal ein Bild von den Festspielen machen können. Eine sinnvolle PR-Aktion, um die Akzeptanz in der Stadt noch mehr zu steigern. Diese Karten wurden öffentlich verlost und waren innerhalb von nicht ganz einer halben Stunde ausverkauft. Schon eine Stunde zuvor waren die meisten gekommen. Allerdings gab es auch keine 2450 Plätze, sondern das Publikum blieb auf 750 beschränkt. So reichten die tausend Lose auch nicht für alle, die Lose wollten. Ausgeteilt wurden die Gewinnerkarten direkt durch OB Kissel und Pressesprecherin der Festspiele, Simone Schofer. Eine Generalprobe ist ein besonderes Ereignis. Gespielt wird wie in den kommenden zwei Wochen auch, aber Regisseur Wedel sitzt in den Zuschauerrängen und beobachtet mit seinem Assistenten noch einmal sehr genau. Es kann sein, dass er auch unterbricht und Anweisungen gibt. Es ist auch die letzte Gelegenheit, etwas vor der Premiere noch mal zu ändern. Und Dieter Wedel hat nach dieser Aufführung auch eine kleine Szene noch einmal umgestellt, da sie ihm bei der Generalprobe zu schleppend vorkam. Normalerweise kann man für eine Generalprobe keine Karten erwerben.
Überhaupt zeigte man sich dieses Jahr sozial und spendabel. Zwar vergibt die Stadt schon immer Freikarten an sozial tätige Verbände als Dankeschön für die geleistete Arbeit. Dieses Jahr wurden nun erstmals in einer Sonderaktion auch bundesweit Freikarten für junge Menschen zwischen 14 und 25 Jahren, die ehrenamtlich in den Bereichen Kultur, Soziales, Politik und Sport aktiv sind, zur Verfügung gestellt, um sie an die Nibelungensage heranzuführen. Auch die Inhaber von Jugendleitercards waren herzlich eingeladen. Diese Idee gab es bereits seit langem, aber bisher reichte das Platzangebot dafür nicht aus. Gruppen, die mehr als zehn Personen umfassten, konnten von zwei Begleitern betreut werden. Deren Tickets waren ebenfalls kostenlos. Günstige Übernachtungsmöglichkeiten bot die Jugendherberge Worms. Natürlich war das Kontingent dennoch begrenzt. Ob das Angebot im nächsten Jahr wieder besteht, entzieht sich meinen Informationen. Es lohnt sich vielleicht ein Blick ins Internet, wo das Anmeldeformular in diesem Jahr zu finden war unter http://www.worms.de in der Rubrik Tourismus. Oder einfach mal beim Kinder- und Jugendbüro der Stadt Worms nachfragen.
Die Prominenz läuft in Worms zum Empfang über den „roten Teppich“ und die Bürger schauen dabei neben dem Presseaufgebot zu. Bewundernswert, wie da ausgeharrt wurde, um diese zu sehen, und bei Sonnenschein wäre es sicherlich noch mehr Publikum geworden. Ich bin allerdings auch irgendwann – bevor es richtig losging – frierend und bibbernd durch den Regen wieder nach Hause gelaufen. Zu den Prominenten der diesjährigen Premiere (die dieses Jahr noch zahlreicher waren als im letzten Jahr, insgesamt fast 2100 geladene Gäste – 1470 plus 250 Medienvertreter plus den 300 Personen die über den roten Teppich liefen und eigenen Empfang erhielten, aber auch 450 Normalzahlende) gehörten Götz und Jenny Elvers-Elbertzhagen, Jessica Stockmann, Mariella Ahrens, Christian Quadflieg, Anuschka Renzi, Dagmar Berghoff, Claus Kleber (heute journal, ZDF), Wilhelm Wieben (Ex-Tagesschau-Sprecher), Konstantin Wecker, Mariella Ahrens, Roberto Cavollo, Ute Henriette Ohoven, Joachim Król, Manfred Zapatka, Karin Beier, Felicitas Woll, Inez Björg David, Janin Reinhardt, Bettina Zimmermann, Uwe Bohm, Ilja Richter, Michael Greis, Wolfgang Holzhäuser, Patrick Graf von Faber-Castell, Joy Grit Winkler, Margit Conrad, Klaus Bresser (ehemaliger Chef-Redakteur ZDF) und viele ungenannte. Innenminister Wolfgang Schäuble – für den im Vorfeld besondere Sicherheits-Maßnahmen vorbereitet werden mussten (mehr unten unter „Sonstiges“) – hatte aufgrund der vereitelten Terroranschläge tags zuvor in London kurzfristig absagen müssen. Die meisten Prominenten reihen die Nibelungenstadt inzwischen in die Riege der großen Festspielstädte ein. Vorgefahren sind die Prominenten in edlen Karossen einer Stuttgarter Nobelfirma. Allerdings kam Kurt Lauer, Fraktionsführer von Bündnis 90/Die Grünen im Stadtrat, zwar auch mit Chaffeur, aber in einer abgasfreien Rikscha, wofür es von den Zaungästen einen Extra-Applaus gab. Enthusiastisch wurde ansonsten nur bei Dieter Wedel und seinen Begleitdamen geklatscht. Zum Essen der Prominenten spielte die Drei-Mann-Kapelle „Farfareilo“ aus Köln. Kameramann Markus Wolfsiffer vom „Montagsmagazin“ im Offenen Kanal Worms war mitten im Pulk der Medienvertreter, die die Stars und Prominente filmten, die zur Premiere gekommen waren und dies wurde auch im lokalen Fernsehen ausgestrahlt. Genauso wie auch Ausschnitte der Aufführung, die der ehemalige ZDF-Kameramann Wilfried Saur für den Offenen Kanal vorbereitet hatte.
Ein Beweis der „Nibelungen-Treue“ zeigte ein Fax, das bei der Festspiel GmbH einging: „Wir wünschen allen Nibelungen eine tolle Zeit 2006“, unterzeichnet mit Königskrone und „Familie Król“. Fast alle Mitglieder des Ensembles vom letzten Jahr kündigten zur Premiere oder zu einer Vorführung danach zahlreich ihr Kommen an. Wibke Puls reiste von München an, Maria Schrader hat gerade ihr erstes Filmprojekt als Regisseurin beendet und kam aus Israel, Karin Beier und Michael Wittenborn stoppten kurz in Worms auf der Durchreise. Regisseurin Karin Beier ist in der Spielzeit 2007 Schauspielchefin am Kölner Schauspielhaus. Auch konnte sie von der Festspielleitung gleich noch ganz andere Glückwünsche für sich und ihren Mann Michael Wittenborn (der in ihrer Nibelungeninszenierung den Markgrafen Rüdiger von Bechelarn spielte) entgegennehmen. Sie hat eine Tochter zur Welt gebracht. Auch Joachim Nimtz, der in den ersten beiden Jahren den Burgwächter spielte, war gekommen. Und ebenso Manfred Zapatka, der zurzeit für eine ZDF-Serie als Kriminalkommissar vor der Kamera steht, die ab Oktober ausgestrahlt werden wird. Und natürlich die Königsfamilie von Joachim Król („Król“ bedeutet „König“ auf Polnisch). Diese „Nibelungentreue“ fand schon während der gesamten Proben statt. Joachim Król rief öfter an, um sich nach deren Verlauf zu erkundigen. Auch Maria Schrader rief öfter an und sprach dabei auch mit den neuen Ensemblemitgliedern.
Für die Premierengäste steht auch ein spezieller Styling-Service zur Verfügung. Top-Stylist und Prominentenfrisör Jens Dagné frischt den Gästen kostenfrei das Make-up auf und macht auch das Haarstyling wieder perfekt. Jens Dagné ist Preisträger zahlreicher Wettbewerbe. Wenn dagegen etwas mit dem edlen Gala-Outfit passieren sollte, steht Schneidermeisterin Gerlinde Schidrich mit Nadel und Faden bereit.
Im Vordergrund steht dergleichen leider immer: Was tragen die Promis an teurer Mode? Das war zur Premiere angesichts der überraschend eingebrochenen Kälte nach der wochenlangen Hitze etwas bitter. Obwohl bereits Tage zuvor klar war, welches Wetter zu erwarten ist, hatten dies nicht alle in ihrem Outfit beachtet. Bei der Premiere goss es leider nach der Pause – in der es in dem herrlichen Park-Ambiente Sekt, Wein und Bier gab – in Strömen; trotzdem hielten Schauspieler und Zuschauer bis zum Schluss tapfer durch. Es stand durchaus auf der Kippe, dass abgebrochen hätte werden müssen. Trotz des Regens ist die Premiere mit stehenden Ovationen und minutenlangem Applaus des Publikums über die Bühne gegangen. Die Amazonen Brünhild und Isolde froren klatschnass und nur leicht bekleidet. Umgekehrt kam vom Ensemble der Beifall an das Publikum, das trotz der widrigen Umständen auch nicht aufgegeben hatte. Die Promis sind fast allesamt bis in den Morgen im nassen Heylshof geblieben. Von Trübsal zeigte man keine Spur. Giselher (Christian Nickel) schnappte sich im Stil von „dancing in the rain“ eine Tanzpartnerin auf dem klatschnassen Rasen um halb drei Uhr nachts, und andere Paare schlossen sich ihnen an. Nur Autor Moritz Rinke und Intendant Dieter Wedel waren aufgrund des Wetters etwas gedrückt und keineswegs euphorisch. Natürlich wäre es bei sommerlichem Wetter viel besser gewesen, aber immerhin musste nicht abgebrochen werden. Die Technik hat gehalten, ohne dass bei strömenden Regen die Mikrophone aufgaben. Es gab nur einen kleinen Kurzschluss, weshalb eine Filmeinspielung erst etwas später losging. Keiner der Schauspieler ist auf der rutschig-nassen Bühne ausgerutscht, es gab keine Verletzungen. Nicht zuletzt sorgte der Dauerregen für ein Gemeinschaftsgefühl, das dem Publikum auch in Erinnerung bleiben dürfte.
Eine Aufführung gilt als vollständig, wenn bis zur Pause nicht abgebrochen wurde. Ob es regnen würde, konnte man nie vorher sagen. Nur bei Abbruch in der ersten Halbzeit wird für die Besucher Ersatz angeboten und dann an den sonst eigentlich spielfreien Montagen die Vorstellung nachgeholt. Kleine Regenpausen in der ersten Halbzeit, wo eventuell kurzzeitig abgebrochen würde, waren eingeplant, so dass sich die Aufführungszeit entsprechend verlängert hätte. Nur bei ganz starkem Regen kommt es zum vollständigen Abbruch. Nur eine Aufführung musste – obwohl es durchweg schlechtes Wetter während der Festspiele gab und jeden Tag regnete – kurz vor 0.30 Uhr abgebrochen werden. Es goss wieder in Strömen, aber es drohte auch die Gefahr einschlagender Blitze. Alle Schauspieler ernteten trotz aufkommender Hektik auch hier freundlichen Applaus, bevor das Unwetter völlig hereinbrach. Ich besuchte regenfrei die Vorstellung direkt nach der Premiere, aber es war ziemlich kalt und eingehüllt in Decken gerade so zu ertragen. Großen Respekt verdienen deswegen die Schauspieler, die teilweise kaum bekleidet und barfuß diese Festspielzeit durchstanden. Trotz des diesjährigen wirklich miserablen Wetters für Freilichtaufführungen hatten die Aufführungen eine Auslastung von 87 %. Die Spielstätte vorm Dom ist für eine Theateraufführung auch grandios, die Schauspieler sind allesamt hervorragend. Das Zuschauer- und Medieninteresse geht zudem jährlich nach oben.
Das Stammlokal des Nibelungenensembles ist das kleine Ristorante „La Carbonara“ im Adenauerring. Auch im fünften Festspieljahr gehört es schon zur Tradition, dass die Nibelungen nach den Proben oder Aufführungen dort einkehren. Hier hat man sich gemeinsam in diesem Jahr auch das WM-Spiel „Deutschland gegen Italien“ angesehen. Auch in der Festspielzeit war dort dieses Jahr Mario Adorf zu Gast, der seinerzeit die Nibelungenfestspiele mit aus der Taufe hob. Später war er zusammen mit dem Initiatorenteam Bettina Musall und Hans Werner Kilz im Zorn geschieden, weil das Trio mit der Berufung von Dieter Wedel als Intendant nicht einverstanden war. Da er aufgrund dieser Entwicklung keine guten Erinnerungen an die Nibelungenfestspiele hat, interessiert er sich auch nicht mehr sonderlich dafür.
Wie auch im letzten Jahr besuchten alle Schauspieler die Wäscherei der Wormser Lebenshilfe – eine Behinderteneinrichtung –, in welcher seit nunmehr drei Jahren täglich deren Wäsche gewaschen, getrocknet und gebügelt wird. Die schwierigste Reinigung ist nicht, wie man meinen könnte, das blutige Hemd von Siegfried, sondern es sind die Kostüme der Ordensschwestern. Während der Festspiele wird mehr gearbeitet als sonst, die Arbeitszeit beginnt früher und schließt auch die Wochenenden mit ein. Diese Behinderten sind mittlerweile große Fans der Nibelungen, sammelten teilweise schon vor den Festspielen Merchandising-Utensilien und gehen auch zu den Aufführungen. Der Besuch der Darsteller bei ihnen ist deswegen eine besonders nette Geste und darüber hinaus eine direkte menschliche Begegnung, die sich länger einprägt als irgendwelche städtischen Sehenswürdigkeiten. Im Gegenzug bekommen jährlich die Behinderten – „das Team der königlichen Burgunder-Wäscherei“ – auch eine Backstage-Führung geboten. Dabei beeindruckt sie vor allem die „Waffenkammer“ (ein entsprechendes Zelt und Container), über und über mit Theaterwaffen gefüllt. Mancher kam sogar in den Genuss, eine der Rüstungen anziehen zu dürfen. Die Kostüme sind wiederum in anderen Containern verstaut. Die meisten Kostüme sind doppelt bis dreifach vorhanden. Der Weg, den die Schauspieler zur Bühne zurücklegen müssen, erwies sich für die Behinderten als schwierig. Rollstühle z. B. mussten zusammengeklappt werden. Ein Rollstuhlfahrer durfte zur Entschädigung eine Fahrt mit der Hubbühne nach oben mitmachen. Die Zusammenarbeit der Festspiele mit der Lebenswerkstatt wird in den nächsten Jahren fortgeführt.
Und nachdem alles vorbei war, bekundeten wie jedes Mal alle Schauspieler, dass sie durchaus auch mit Abschiedsschmerz von Worms fortgehen.
Presseecho
2002 gaben sahen noch viele Kritiker die Aufführung vorm Wormser Dom als Eintagsfliege und attestierten kaum Überlebenschancen. Die Geschichte hat ihnen mittlerweile das Gegenteil bewiesen. Die Berichterstattung in der Boulevard-Presse zu den Festspielen war wie jedes Jahr überaus groß. Schon zur Fotoprobe vor der Premiere gab es Riesenandrang: acht Fernsehteams von ARD und ZDF bis RTL und ca. 60 Fotografen aus dem gesamten Bundesgebiet nutzten die Gelegenheit, Szenen und Bilder aufzunehmen. Während der eigentlichen Aufführungen besteht ja auch für die Medien Fotografier- und Drehverbot. Aber auch in den Wochen zuvor zur Probezeit kamen die Journalisten von überall, ob München, Hamburg oder Berlin, um bei den Proben dabei zu sein und Interviews zu machen. Vorberichte erschienen in Magazinen wie der „Gala“, in der „Bunten“, in der „Frau im Spiegel“ oder als Programmtipp im „Focus“. SAT.1 hatte in seiner „Kulturzeit“ auf die Festspiele hingewiesen, 3sat begleitete mit der Sendung „Foyer“ die Proben. Im Theaterkanal wurde Jasmin Tabatabai in der Sendung „Abgeschminkt“ portraitiert. Auch die Nachrichtenagenturen brachten bundesweit mehrere Meldungen zum Verlauf der Proben. Zeitgleich zur Wormser Premiere fand die Premiere der „Dreigroschenoper“ unter der Regie von Karl Maria Brandauer im Berliner Admiralspalast statt. „Frau im Spiegel“ schrieb dazu mit fettem Titel: „Wedel siegt, Brandauer floppt in Berlin“. Damit war der „Promi-Besucher“-Faktor gemeint, denn im Gegensatz zur Berliner Premiere kamen zur Nibelungen-Inszenierung rund 2500 Premieregäste, die in Regencapes und dicke Decken gehüllt die grandiose Schauspielerriege frenetisch feierten. Diese Promistars sind der Regenbogenpresse wichtiger als die Nibelungenschauspieler selbst – abgesehen von Fotos von Dieter Wedel im Arm mit Sonja Kirchberger und Jasmin Tabatai. Die „Bunte“ titelte „Nasse Premiere – Jubel für Wedel und Crew“, die „Revue“ „Nibelungen-Festspiele – Jessica Stockmann glücklich als Single“ und verwechselte inhaltlich das Ganze mit dem „Ring der Nibelungen“, „Gala“ brachte eine Doppelseite und war angetan, natürlich auch die „BILD“ sogar in mehrfachen Ausgaben (wenn auch wie in früherer Berichterstattung wegen des Sex). Der Tagesspiegel war voll des Lobes über das neue Stück. Nicht immer sind die Kritiken natürlich gut, strenge Theater-Puristen haben ihre Schwierigkeiten mit der modernen Inszenierung. Die „Süddeutsche Zeitung“ fand, es gehe Wedel vor allem darum, das Stück „aufzusexen“. Dabei sollte man allerdings auch wissen, dass der dortige Chefredakteur Hans Werner Kilz einer der damaligen Festspiel-Initiatoren war und im Streit geschieden ist. Die Kritik der „Süddeutschen“ war dadurch auch am schärfsten: „Der Abend wirkt, als müsste Woody Allen im Mainzer Karneval eine Büttenrede halten“. Szenen wie die Vergewaltigungen sind allerdings inhaltlich notwendig, weil sie die Verkommenheit am Burgunderhof und die latente Gewaltbereitschaft aufzeigen sollen. Der „Mannheimer Morgen“ wiederholte einfach nur die Kritik an der damaligen Inszenierung, aber fügte auch ein Lob für die Verbesserungen der neuen Version hinzu. Und die „Rheinpfalz“ vermochte auch wenig mit dem Stück anzufangen. „Die Welt“ und „Frankfurter Rundschau“ druckten lediglich die Agenturmeldungen ab. In der „FAZ“ stand nach der Premiere gar nichts. Die meisten begrüßen es allerdings, dass dem klassischen Stück, dessen Verlauf und Ausgang fast jeder in Deutschland kennt, neues Leben eingehaucht wird. Für die Liebhaber klassischen Theaters war die Hebbel-Fassung von Karin Beier besser, für die Liebhaber von Event-Theater dagegen natürlich Wedels Version der Rinke-Fassung. All dies gehört dazu, wenn Festspiele erfolgreich bleiben sollen. Und berichtet wurde im Grunde überall: Ob „Kieler Nachrichten“, „Reutlinger General-Anzeiger“ oder „Leipziger Volkszeitung“. Die meisten mittelständischen Zeitungen bedienten sich der von dpa oder ddp-Agenturjournalisten positiv geschriebenen Berichte. Die Internetsuchmaschine „yahoo“ zählt 70 Tageszeitungen auf, die freundlich über die Festspiele berichteten. Erfreulicher sind natürlich seriösere Berichte wie in „Leute heute“ (ZDF), „Brisant“ (ARD) oder „Exclusiv“ (RTL). Im Mittagsmagazin des ZDF berichtete Dieter Wedel live im Mainzer Studio über seine neue Inszenierung und zeigte auch Ausschnitte aus seinen Filmsequenzen, die er in Worms und Umgebung gedreht hat. Ein ZDF-Team hatte zuvor dafür auch die Dreharbeiten in Worms begleitet, und auch davon wurden Szenen ausgestrahlt. Einen längeren Bericht strahlte auch der SWR in seiner Sendung „Landesart“ aus, mit Interviews mit Moritz Rinke, Jasmin Tabatabai und anderen Stars sowie Eindrücken vom Statistenlager, Interviews mit Komparsen und Vorstellung der Rüstungen und Kostüme. Jasmin Tabatabai hatte auch einen eigenen Auftritt im ZDF in der Sendung „Volle Kanne“, wo sie über ihre Arbeit in Worms sprach. Im SWR4 kam der Hörfunkbeitrag in der „Radiogalerie“, wo sich Korrespondent Ralf Krause in der Wormser Innenstadt bei der Bevölkerung umhörte, um die Stimmung vor den Festspielen einzufangen. Ebenfalls im Hörfunkprogramm: ein Beitrag mit Jasmin Tabatabai (siehe unter Besetzung weiter unten). Und in der Radiosendung SWR1 „Leute“ war bei Katja Heijnen bei Sonja Kirchberger zu Gast. Während mittlerweile die Bayreuther Festspiele als staatlich subventionierte Reichenfestspiele in Verruf geraten sind, erklimmen die Nibelungenfestspiele in Worms ungeahnte Höhen in der Gunst des Publikums wie auch der Kritiker. Denn in Worms können sich auch „Otto Normalverbraucher“ eine Eintrittskarte leisten. Das Wirtschaftsmagazin „Capital“ bewertete in seiner diesjährigen Auswahl der „Top Ten“ der wichtigsten Festspiele in Europa das Wormser Kulturereignis mit Platz 1! In der Wertung sind bekannte Veranstaltungen aufgeführt, wie das Festival d`Avignon in Frankreich oder das Classic Open Air in Berlin. Eine wichtige Auszeichnung, übertitelt mit „Jenseits von Bayreuth“. Auch der SPIEGEL schrieb in Ausgabe 27/2006: „Nicht nur in Bayreuth, auch in Worms gibt es die Nibelungen – unter der Leitung von Dieter Wedel“. Aber nicht nur auf Platz 1 im „Capital“, sondern inzwischen auch in allen anderen Magazinen rangiert das hochrangige Wormser Theater unter den „Top Five“ aller deutschsprachigen Festspielstädte.
Das Publikum reagiert im Grunde genauso wie die Medienkritiker. Die einen sind enttäuscht und fanden die Erstversion viel besser, die anderen finden die neue Inszenierung bisher am besten (auch besser als die Hebbel-Aufführung von Karin Beier).
Besetzung
Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, wurde im fünften Jahr eine komplett neue Ensemble-Besetzung eingeführt.
Moritz Rinke hat das Stück neu geschrieben. Die erste Fassung von 2002 erstreckte sich über dreieinhalb Stunden, so dass nicht viel Zeit blieb, um das ganze Epos darzustellen. In der Hebbel-Version (nicht der von Karin Beier, sondern der originalen) dauert das Stück fast neun Stunden. Durch die Verlängerung konnte Rinke sehr viel vertiefen und hat bei den Frauen damit begonnen. Er erzählt mehr über Brünhild, die im eigentlichen Nibelungenlied irgendwann einfach verschwindet. Der Beginn des Stückes spielt in ihrer eigenen Welt in Island. Nach Burgund begleitet wird sie von ihrer Amme, Freundin und Beraterin Isolde, die frei dazuerfunden wurde und im Originaltext gar nicht vorkommt. Sie steht zudem in einer besonderen Beziehung zu Hagen, dessen Herz sie gewinnt und der bei Rinke ein „Anwalt des Rechts“ und keineswegs ein grimmiger Meuchelmörder ist und sich auch verlieben darf. Mit dieser Neuschöpfung steht er durchaus in einer Tradition, in der sich das Nibelungenlied immer wieder auch verändert. Gerade die Zudichtungen und Neuinterpretationen der bisherigen Schöpfer des Stoffes haben diese Tradition im Grunde so reich gemacht. Als Beispiel dazu dient vor allem Richard Wagners Inszenierung vom „Ring der Nibelungen“, der viele Elemente aus der Edda in den Stoff hineinbrachte. Auch das Verhältnis von Siegfried zu Brünhild und Kriemhild hat mehr Raum bekommen. Schon in der ersten Rinke-Version liebt Kriemhild zwar Siegfried, ist aber genauso auch von ihm enttäuscht. Ein neuer interessanter Aspekt ist, dass Kriemhild offen zugibt, den langweiligen Siegfried irgendwie loswerden zu wollen („ich habe zehn Jahre Hirschragout gegessen“) und dieser, immer öfter zur Flasche greifend, macht Brünhild überraschende Liebesgeständnisse. Diese männermordende Königin hatte ihm ja als Einzigem schon in Island angeboten, ihn ohne Kampf als Mann zu nehmen, was Siegfried ablehnte. Gernot, einer der Brüder König Gunthers, trägt auch neue überraschende Züge in seinem Charakter. Rinke ist mit seinen modernen Inszenierungen immer auch politisch. Die Gewalt im Stoff bekam in diesem Jahr eine besondere Aktualität durch den Libanonkrieg. Kriemhilds und Giselhers politische Ambitionen sind vertieft. Von Anfang an ist bei Rilke die Figur Kriemhilds ja auch schon an Ulrike Meinhof angelehnt, wobei sie sich im Stück natürlich nicht zur Revolutionärin in Meinhof’schem Sinne entwickelt. Überhaupt bleibt das Nibelungendrama aktuell, was den Kampf der Kulturen angeht und während die Gefahr des globalen Kriegsausbruchs täglich wächst. Nicht erst im zweiten Teil mit dem Untergang am Hunnenhof zeigt Rinke dies auf, sondern schon im ersten Teil, wo die christliche Welt der Burgunder auf die der heidnischen nordischen Königin Brünhilde prallt. Durch das Gefolge Brünhilds, die isländischen Edelfrauen, die mit ihrem heidnischen Götterkult einen krassen, fremden Gegenpol zur höfischen Welt in Worms darstellen, wird ein hochaktuelles Migrationsproblem thematisiert. Auch ist in den Dialogen zwischen Boten und Burgwächter viel Politik enthalten, besonders, was Soziales und Reformfähigkeit des Landes angeht. Dieter Wedel hat massiv in die Vorlage Rinkes eingegriffen, die als Buch nächstes Jahr zusammen mit dem 1. Teil erscheinen wird. Szenen wurden umgestellt, verschachtelt und einige gestrichen, wie beispielsweise, dass Siegfried in der besagten Nacht Kriemhild nicht nur mit Brunhild betrügt, sondern auch noch mit Isolde schläft. Eigentlich ein interessanter Zug, wo zur dreifachen Göttin oder den drei Nornen Analogien hätten hergestellt werden können. Andererseits hat Wedel der Figur der Brünhild noch mehr Tiefe gegeben, als diese in Rinkes Vorlage gehabt hatte. Was das Publikum letztlich sah, war nicht Rinkes Stück. Allerdings ist das eine Normalität im Theaterbetrieb. Der Streit zwischen Drehbuchautor und Regisseur gehört einfach dazu. Aber mit Wedel streitet sich Rinke am liebsten, da dieser psychologisch denkt, was es derzeit sonst im Theaterbetrieb nicht gäbe. Zum Zeitpunkt der diesjährigen Festspiele hatte Moritz Rinke den zweiten Teil „Die letzten Tage von Burgund“ fast fertig. Dieser wird mit dem zehnten Hochzeitstag von Gunter und Brunhild am Wormser Hof beginnen, die genervt, enttäuscht und verbittert sind. Zu solch einem Jubiläumsanlass werden natürlich die alten Streitigkeiten wieder ausgekramt. Zwei Drittel dieses Teiles sind vollkommen neu. Es gibt mehr Raum für Figuren wie Dietrich von Bern, König Etzel oder Rüdiger von Bechelarn. Siegfrieds Tod wird es noch einmal geben, denn die Handlung setzt noch einmal weiter vorne an. Kriemhild und Siegfried besuchen nämlich erstmal erneut ihre Verwandtschaft. Zwei Drittel des zweiten Teils handeln davon, wie es kommt, dass Siegfried getötet wird. Denn der Untergang wird schnell erzählt werden. Spannender ist die Verdichtung zwischen den bekannten Personen; das Darsteller-Tableau bleibt auch das gleiche. Für Moritz Rinke sind die Wormser Festspiele etwas ganz Großes, mehr Zuschauer habe auch Shakespeare in seinem Globe Theatre nicht gehabt. Irgendwann sollen beide Teile auch in einer langen Nibelungennacht nacheinander aufgeführt werden. Moritz Rinke wurde 1967 in Worpswede geboren, studierte Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und arbeitete als Redakteur beim Berliner „Tagesspiegel“.
Dieter Wedel ist Intendant und führt auch Regie. Wie Moritz Rinke könnte er eigentlich nach der Premiere gehen, denn seine Arbeit ist dann im Grunde getan. Aber als Intendant blieb er die gesamte Festspielzeit (siehe auch weiter unten unter „Sonstiges“).
Joern Hinkel ist Regie-Assistent, aber spielt sogar bei der Brautwerbung einen finnischen Gesandten und nochmals einen bayrischen Brautwerber. Hinkel ist eigentlich studierter Opern-Regisseur. Aber er wollte schon immer auch Filme drehen. In München hatte er die Verleihung des bayrischen Fernsehpreises inszenieren dürfen und kam dadurch in Kontakt zu Starregisseur Wedel. Er kam deswegen zum Casting für die „Affaire Semmeling“ und Wedel hielt ihn für den Kameramann. Hinkel hat sich das Missverständnis nicht anmerken lassen und einfach gedreht und Wedel fand, er sei ein interessanter Kameramann. Zwar hat sich natürlich das Missverständnis aufgeklärt, aber seitdem arbeiten sie zusammen. Als Wedel 2002 nach einem Assistenten für die Nibelungenfestspiele Ausschau hielt, war von ihm aber noch gar nicht die Rede. Doch die vorgesehene Kollegin wurde krank. Seitdem wurde er zur „lebenden Telefonverbindung“ von Wedel. Seit Oktober 2005 lebt Hinkel in einer Vier-Zimmer-Altbauwohnung mit seiner spanischen Frau Monica, die er genauso zufällig kennen lernte. Nach den stressigen Festspielen 2002 begab er sich auf den Jacobs-Pilgerweg und begegnete ihr. Sie sprach kein Englisch, kein Deutsch und er kein Spanisch. Mit Wörterbuch wurde kommuniziert, aber es hat „gefunkt“. Mittlerweile klappt es spanisch-deutsch querbeet. Sie haben inzwischen einen eineinhalbjährigen Sohn Romeo, den man immer von dem Papa durch Worms geschoben begutachten kann. Nach den diesjährigen Festspielen will er einen eigenen Dokumentarfilm drehen über einen Mann, einen Außenseiter, der von Berlin nach München reitet.
Jasmin Tabatabai spielt die Kriemhild und damit viele Schattierungen: Revolutionärin am Burgunderhof in Worms, eitle Königstochter, liebende Frau und Antreiberin Siegfrieds. Sie musste sich als Kriemhild gegen ihre Vorgängerin Maria Schrader behaupten und wird vor allem erst 2007, wenn sich ihre Figur langsam aber stetig bis zum Wahnsinn steigert, zeigen können, ob die Glanzleistung von Schrader getoppt werden kann. Ihr letzter Bühnenauftritt liegt schon 13 Jahre zurück. Aber es war ihr ein Herzenswunsch, wieder Theater spielen zu können. Die Menge der 2400 Leute war kein Problem, sie hat schon vor mehr Menschen gespielt, als sie in der Kieler Ostseehalle mit ihrer Band als Vorgruppe für Nena vor 10000 Leuten einheizte. Zwar hatte sie noch nie so hart arbeiten müssen wie bei den Proben in Worms, aber sie ist begeistert von allem und natürlich auch ihrer Rolle. „Das ist eine faszinierende, gebrochene Person. Kriemhild träumt von der Weltrevolution, will am erstarrten Burgunderhof eine neue Staatsform einführen und strebt nach Macht wie alle Männer. Gleichzeitig wird sie verschachert, reagiert sie, als Brünhild Siegfried einen Lehnsherrn nennt, wie eine echte Königstochter“ (im Interview mit Roland Keth von der Wormser Zeitung). Sie wurde am 8. Juni 1967 in Teheran geboren und ist in Persien aufgewachsen. Schon in ihrer Schulzeit an der Deutschen Schule in Teheran übte sie sich in Schauspielkunst. Noch vor der Machtübernahme von Revolutionsführer Khomeini kam sie nach Deutschland. Ihr Abitur machte sie 1986 im bayrischen Planegg. Danach studierte sie an der Hochschule für Musik und Kunst in Stuttgart. Ihre Karriere als Filmschauspielerin begann 1991 mit dem Kinofilm „Kinder der Landstraße“. Den ersten kommerziellen Erfolg – und auch den Durchbruch in ihrer Karriere – hatte sie 1997 in „Bandits“. Mehr dazu weiter unten auch unter „Rahmenprogramm“ und dort unter „Theaterbegegnungen“, wo sie einen Soloauftritt mit Gitarre hatte. In weiteren Filmen überzeugte sie mit „Late Show“ von Helmut Dietls oder als laszive Sängerin Billie in Xavier Kollers Tucholsky-Adaption „Gripsholm“. 2002 kam ihre Tochter Angelina Sherri Rose zur Welt, die sie auch in Worms dabeihat. 2005 wurde sie für ihre Rolle in dem Kinofilm „Fremde Haut“ – sie spielt eine junge Iranerin, die aus ihrem Heimatland fliehen muss, weil sie der Homosexualität bezichtigt wird und ihr nun die Todesstrafe droht – als beste Hauptdarstellerin für den deutschen Filmpreis 2006 nominiert. Jasmin Tabatabai erwies sich als richtig sympathische Person, was sich auch daran zeigte, dass sie sich einmal im Vorfeld mitten in den Proben zurücklehnte und über den Mond schwärmte, der sich am Himmel zeigte. Auch das SWR1 „Leute live“-Radio widmete ihr während der Festspiele eine Livesendung, zu der bei freiem Eintritt auch Publikum ins Wormser Andreasstift zugelassen war.
Sonja Kirchberger spielt Brünhilds Vertraute Isolde und überzeugte in ihrer Präsenz fast mehr als Annika Pages als Brünhild. Die Rolle der Isolde sagte ihr von Anfang an sehr zu („Sie ist der Punk, den ich immer spielen wollte“) und zudem war es vorteilhaft, eine „leere“ Rolle etablieren zu können, die noch nicht durch Vorbilder geprägt ist. Und: „Als Dieter Wedel mich fragte, bin ich im Dreieck gesprungen und habe zugesagt, ohne eine Sekunde zu zögern“. Vor den 2400 Leuten hatte auch sie keine Bedenken zu spielen, sie hatte schon mal im Berliner Dom gespielt, was zwar nicht der Größenordnung entspricht, aber dem Gefühl eines ehrfurchterbietenden Gotteshauses. Sie findet, dass in Worms sehr lebendiges Theater gespielt wird. Geboren wurde sie 1964 in Wien, nahm zehn Jahre Unterricht im klassischen Ballett und gehörte bis 1978 zum Ballett der Wiener Oper. Sie lernte den Beruf der Zahnarztassistentin und arbeitete nebenbei als Model. Bekannt wurde sie 1988 durch den Film „Venusfalle“ von Robert van Ackeren sowie u. a. auch durch Arbeiten mit Dieter Wedel. Andere sehr erfolgreiche Filme sind „Der König von St. Pauli“ (Dieter Wedel 1998, sie spielt dort die Rolle der verzweifelten Lajana) oder „Seven Servants“ (an der Seite von Anthony Quinn). Sie spielte die unterschiedlichsten Charaktere – von der warmherzigen fürsorglichen Mutter in „Die Liebende“ (von Matthias Tiefenbacher) bis hin zur eiskalten Geschäftsfrau in „Der Runner“ (von Michael Rowitz). In der Trilogie der Kommissarin Anna Göllner hatte sie die Hauptrolle. Sie stand für viele weitere nationale und internationale Produktionen vor der Kamera und feierte Theatererfolge in Stücken wie „Der Weibsteufel“, „Jedermann“ (dreimal spielte sie die Buhlschaft) oder „Effie Briest“ und „Madame Melville“. In Worms ist sie mit ihrem Sohn.
Annika Pages spielt Brünhild. Auch sie musste sich zwangsläufig an der früheren Brünhild Wiebke Puls messen lassen, aber auch sie konnte überzeugen. Vor Wiebke Puls spielte schon Judith Rosmair in Worms die Brünhild. Sie hatte auch nicht gezögert, als das Angebot von Sabine Schroth kam, die schon viele Ensembles im Auftrag Wedels zusammengestellt hat. „Wenn Dieter Wedel einem diese Rolle anbietet, sagt man nicht nein. Ich habe gar nicht überlegt“. Der eigentliche Held im neuen Nibelungenstück ist für sie auch Brünhild, denn diese sei die einzige Anständige unter allen, die nichts aus Berechnung macht wie alle anderen, die sich bis zum Schluss nicht korrumpieren lässt, nicht bestechlich ist und ihrem Herzen Ausdruck geben will. Pages spielte in diversen Kino- und Fernsehfilmen, unter anderem auch in „Die Affaire Semmeling“ von Dieter Wedel, in der sie an der Seite Robert Atzorns dessen Freundin Doris Berg spielt, oder in „Peter Strohm“, „Die Verbrechen des Professor Capellari“, „Mann sucht Frau“ und „Unser Opa ist der Beste“. Geboren wurde sie 1968, besuchte die Staatliche Hochschule für Musik in Hannover, absolvierte danach eine Gesangsausbildung in Hamburg und München sowie eine Tanzausbildung an der Royal Academy of Dancing in Hamburg und London, hatte Engagement am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg, am Staatstheater Stuttgart, Schauspielhaus Zürich sowie am Deutschen Theater Berlin. Nach einer zehnjährigen Schauspielzeit an den Kammerspielen in München wechselte sie an das Bayrische Staatstheater, wo sie bis 2004 engagiert war. Am Deutschen Theater Berlin war sie in Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ zu sehen. 1994 bis 2004 spielte sie erst an den Kammerspielen München, dann am Bayrischen Staatsschauspiel. In Worms hatte auch sie ein eigenes Haus gemietet, wo sie mit ihren beiden Kindern lebte sowie ihrer Mutter, die während der Proben und Aufführungen die Kinder betreute. Für die Rolle der starken Brünhild trainierte sie täglich ihre Muskeln an Geräten im Studio Black & White, das die Festspiele dadurch sponsert, dass es die Trainingseinheiten spendiert.
Robert Dölle spielt Siegfried und trägt wie sein Vorgänger Götz Schubert eine Glatze. Dies irritiert vor allem das ältere Publikum, weil deren Heldenprägung die eines blonden Siegfrieds noch ist. Moritz Rinke hat auf die Auswahl und das Aussehen der Schauspieler keinen Einfluss, aber gerade diese Andersartigkeit gefällt ihm – wie er öfter erwähnte – besonders gut, denn er möchte die Klischees von den Helden verändern. Robert Dölle hat dem Publikum als Nachfolger von Götz Schubert sehr gut gefallen und wurde akzeptiert. Ähnlich wie Kriemhild ist auch Siegfried in der aktuellen Wedel-Inszenierung eine vielschichtige Figur: der strahlende Held, der degenerierte Recke und der liebende Mann. Er genoss seine Rolle und auch die vielen Komplimente der Aufführungsbesucher sehr und hatte noch nie zuvor vor 2400 Zuschauern gespielt. In einer der Filmszenen auf Großleinwand sah man ihn sogar komplett nackt badend im Drachenblut. Nach der nackten Brunhild unter Karin Beier im letzten Jahr ist es also diesmal ein nackter Siegfried, der die Frauen begeistert an der Stelle, wo sonst die Männer begeistert sind. Robert Dölle wurde 1971 in Frankfurt am Main geboren. Sein Schauspielstudium absolvierte er an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Er studierte Amerikanistik an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt. Von 1996 bis 1999 war er Ensemblemitglied an den Münchner Kammerspielen, danach arbeitete er am Schauspielhaus Frankfurt von 1999 bis 2001 und spielte dort in „Don Carlos“ von Friedrich Schiller und „Das Missverständnis“ von Albert Camus, ehe er 2001 wieder zu den Münchner Kammerspielen zurückkehrte. 2001 trat er aber auch noch bei den Salzburger Festspielen als Rosse in Calixto Bieitos Inszenierung von „Macbeth“ auf. „Rosenstraße“ von Margarethe von Trotta, „Polizeiruf 110“ und Dieter Wedels neuer ZDF-Einteiler „Mein alter Freund Fritz“ sind Filme, in denen er mitspielt.
Wolfgang Pregler spielt Hagen und ist als einziger Schauspieler bereits im fünften Jahr bei den Nibelungen. 2002 und 2003 spielte er den König Gunther, 2004 und 2005 Dietrich von Bern. Seine neue Rolle als Hagen – er spielt sie, als sei er schon immer Hagen gewesen – war mit die beste Leistung von allen Mitwirkenden (ohne dabei die anderen schmälern zu wollen). 1956 wurde er in Höntrop geboren und erhielt seine Ausbildung an der Hochschule der Künste in Berlin. Engagements an den Münchner Kammerspielen, am Schillertheater in Berlin und am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, wo er u. a. unter der Regie von Jossi Wieler, Leander Haussmann und Karin Beier spielte. Genauso auch Fernsehproduktionen wie „Die Affaire Semmerling“ von Dieter Wedel (2001) und dem internationalen Kinofilm „Rosenstraße“ mit Maria Schrader (2003). Auch im neuen Fernsehfilm von Dieter Wedel „Mein alter Freund Fritz“ spielt er mit. Zurzeit ist er an den Münchner Kammerspielen engagiert.
Roland Renner spielt König Gunther als zaudernden Herrscher absolut überzeugend und verlieh dieser Figur ganz neue fiese Charakterzüge. Er genoss sehr die Magie des Wormser Spielortes, das Abenteuer des Live-Spielens unter freiem Himmel und fühlte sich, als sei er an die griechischen Ursprünge des Theaters zurückgekehrt. Renner machte seine Schauspielausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Es folgten Engagements an den großen Bühnen im deutschsprachigen Raum: Schauspielhaus Köln, Schauspielhaus Zürich, Deutsches Schauspielhaus Hamburg und bei den Salzburger Festspielen. Wilfried Minks engagierte ihn für seine Produktion von Peter Turrinis „Tod und Teufel“ sowie die Dostojewski-Adaption „Der Idiot“, beides am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Mehrfach hat er mit Johann Kresnik zusammengearbeitet: in Hamburg bei dem Projekt „Gründgens“, am Schauspiel Hannover in Büchners „Woyzeck“ und der „Antigone“ des Sophokles, bei den Salzburger Festspielen in „Peer Gynt“ nach Henrik Ibsen. Neben seiner Theaterarbeit auch Fernseh- und Kinoproduktionen, u. a. „Zwei Tickets nach Hawaii“ von Markus Imboden oder ein „Tatort“ in der Regie von Thomas Jauch. Zur Wormser Aufführung gestand er, dass er zwar seit 30 Jahren Theater spiele, „aber diese Art von Regisseur, wie Wedel einer ist, dem Theater abhanden gekommen sei – deshalb ist es ein Genuss“ und sei eine gute Entscheidung gewesen, die Rolle anzunehmen.
Robert Josef Bartl spielt Gernot und erheiterte in ähnlicher Weise wie Eisermann das Publikum. „In der Hebbel-Fassung ist Gernot nur ein Edel-Statist, aber bei Rinke hat der Königssohn eine menschliche Figur, die Freude macht zu spielen. Die Figur hat jetzt Kontur, aber keine glatte“, sagt er im Interview von Susanne Müller mit der WZ. Moritz Rinke hat Gernot eigene Szenen hinzugeschrieben, er trifft darin auf Hagen und auch auf Brünhild. Aber in einer Friedhofsszene entpuppt er sich als schmieriger Intrigant, denn er ist der ewig Zweitgeborene, der immer an die Macht will, aber den älteren Bruder vor sich hat. Bartl hat Mediävistik studiert und kennt daher die Nibelungen sehr gut, auch im „Original“. Vor Worms hat er Hochachtung, weil sie in nur fünf Jahren Festspiele von diesem Kaliber aus dem Boden gestampft haben. Ausgebildet wurde er am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Wichtige Lehrer waren für ihn Nikolaus Windisch-Spoerk und Klaus Maria Brandauer. Während seiner Ausbildung erhielt er den Darstellernachwuchspreis der deutschsprachigen Staatlichen Schauspielschule und wurde anschließend am Burgtheater übernommen. Weitere Stationen waren Schweiz, Kampnagel Hamburg und Städtische Bühnen Frankfurt/Main. 2001 wurde er Ensemble-Mitglied am Bayrischen Staatsschauspiel. Während der diesjährigen Festspielzeit hatte er am 17. August auch Premiere im Kino mit dem Film „Wer früher stirbt, ist länger tot“. Vor offiziellem Filmstart hatte der Film aber auch schon bei Festivals einige Preise bekommen. Bartl spielt darin den sanften Pfarrer Behrendt.
Christian Nickel spielt Giselher aufgrund seiner langjährigen Theaterarbeit durchaus sehr gut, aber kam seinem Vorgänger Andre Eisermann und dessen Darstellung der stürmischen Draufgängerlust nicht ganz hinterher. Eisermann zu toppen, wäre allerdings sicherlich auch jedem anderen schwer gefallen. Verantwortlich in der Auswahl war wie bei allen Schauspielern Dieter Wedel, und der mag nun mal auch Brüche in der Wahrnehmung der Figuren. Ausgebildet wurde Nickel an der Hochschule für Schauspiel Ernst Busch in Berlin. 1997 spielte er an den Salzburger Festspielen, danach am Frankfurter Schauspiel. Von 1999 bis 2001 gehörte er zu Peter Steins Faust-Ensemble und spielte dort zunächst den jungen Faust, bevor er nach dem Ausscheiden von Bruno Ganz den gesamten Part der Titelfigur übernahm. Seit 2002 arbeitet er am Bayrischen Staatsschauspiel. Im September 2003 gab er sein Debüt als Regisseur mit Lessings „Emilia Galotti“ im Alten Schauspielhaus Stuttgart, weswegen ihm Wedel weitgehend in seiner Interpretation der Giselher-Rolle freien Lauf ließ. Seit 2005 ist er Ensemblemitglied am Burgtheater in Wien.
Ute Zehlen spielt Ute. Sie ist Ensemble-Mitglied am Schauspiel in Essen. Interessanterweise hat sie dort in einer Hebbel-Nibelungen-Inszenierung von Anselm Weber bereits zuvor die Ute gespielt. Vor Essen war sie u. a. am Staatstheater Kassel, Staatstheater Stuttgart, Schauspiel Frankfurt und Stadttheater Heilbronn. Zu den wichtigen Produktionen gehören „Maria Stuart“, „Onkel Wanja“ und „Der jüngste Tag“. Für ihre Rolle der Rose in Martin Shermans gleichnamigen Stück wurde sie in der Kritikerumfrage der Kulturzeitschrift „neues Rheinland“ 2000/2001 zur besten Schauspielerin gekürt. Eigentlich hätte Renate Krößner die Mutter Kriemhilds in Moritz Rinkes Stück „Die Nibelungen – Siegfrieds Frauen“ spielen sollen. Doch schon kurz nach Probenbeginn hatte Dieter Wedel sich von Regina Krößner wieder getrennt.
Marcus Calvin spielt Ortwin von Metz, den Bruder von Hagen. Er wurde an der Otto-Falckenberg-Schule in München ausgebildet. Sein erstes Engagement war am Theater der Stadt Heidelberg. Es folgten Staatstheater Kassel, Nationaltheater Mannheim und Staatstheater Stuttgart. Seit 2001 ist er Ensemblemitglied des Bayrischen Staatsschauspiels und spielte dort u. a. den Leopold Blum in „Tropfen auf heißen Steinen“ in der Inszenierung von Tina Lanik und den Ariel in „Der Kissenmann“ in der Inszenierung von Hans Ulrich Becker. Seit Juni 2006 ist er in Franz Xaver Kroetz`s Uraufführung von „Tänzerinnen und Drücker“ als einer der vier Drücker zu sehen.
Mathias Redlhammer spielt Hunold. Er absolvierte seine Ausbildung an der Westfälischen Schauspielschule Bochum. Danach arbeitete er am Schauspielhaus Bochum, Burgtheater Wien, Schillerhaus Berlin, Thalia Theater Hamburg, Schauspielhaus Düsseldorf und Zürich. In zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen war er zu sehen, u. a. im Kinofilm „Bluthochzeit“ von Dominique Derrudre, in dem TV-Sechs-Teiler „Die Affaire Semmeling“ von Dieter Wedel sowie in „Die Kommissarin“, „Ein Fall für Zwei“ oder „Tatort“.
Tilo Keiner spielt vier Rollen: Sindold, den Mundschenk, den finnischen König Jukka Thor (und wirbt darin um Brunhild gar auf finnisch, dessen Text er mit einer Sprachlehrerin lernen musste), einen Sachsenkönig und einen üblen Burgunder, der mit einem Kumpel eine Isländerin (Valerie Niehaus) erst vergewaltigt und dann tötet, sowie bei der Kinder-Vorführung sogar im Mittelpunkt als zusätzlicher Erzähler. Keiner ist 1962 geboren, stammt aus Düsseldorf und besuchte zwei Jahre die London Academy of Music and Dramatic Art. Seit 1986 spielt er Theater in Köln, Nürnberg und Trier. Neben Engagements am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg und vor dem Schauspielhaus Bochum stand er von 1993 bis 1995 am Schauspielhaus Nürnberg auf der Bühne. Seit 1995 wirkt er in deutschen und englischsprachigen Film- und Fernsehproduktionen mit. Neben zahlreichen Fernsehserien wie „SOKO 5113“ oder „Girlfriends“ verfügt er auch über Hollywood-Erfahrung, wo er mit Steven Spielberg in „Der Soldat James Ryan“ arbeiten konnte. Im deutschen Kino spielte er in „Der Ärgermacher“. In Stuttgart spielte er seit zwei Spielzeiten im „Abba“-Erfolgsmusical „Mamma Mia“. Auch bei mehreren Inszenierungen von Karin Beier, die im letzten Jahr in Worms noch die Nibelungen aufführte, hat er mitgewirkt. Im letzten Jahr war er bei den Wormser Festspielen auch schon mit dabei und spielte die Rolle des Hunnen Werbel.
Andre Eisermann spielt dieses Jahr den „wormserisch babbelnden“ Burgwächter und ist sowieso als Wormser das eigentliche Lieblingskind des Wormser Publikums. Er ist von Anfang an dabei und spielte in den vier Jahren zuvor den Giselher. Die Rolle in diesem Jahr war nicht mehr ganz so umfangreich. Wahrscheinlich wäre er auch nicht mehr im neuen Ensemble gewesen, wenn er für die Wormser nicht als Institution dazugehören würde. Deswegen geht es ihm vor allem darum, überhaupt dabei zu sein. Zur Ensemble-Vorstellung im Mai war er noch für die Rolle des Hunold vorgesehen, die jetzt Matthias Redlhammer spielt. Der Burgwächter war eigentlich für den Politiker Norbert Blüm vorgesehen, der allerdings, nachdem er dachte, er würde aufgrund seiner früheren Finanzpolitik durchs Drehbuch veralbert, und sich an einigen der „Reformsätze“ störte, von seiner Zusage zurücktrat. Eisermann wurde bekannt durch die Filme „Kaspar Hauser“ und „Schlafes Bruder“. Besonders „Kaspar Hauser“ (1993) machte ihn mit 25 Jahren überraschend quasi „über Nacht“ zum Weltstar. Dafür wurden ihm zahlreiche Preise verliehen (z. B. der Darstellerpreis des internationalen Filmfests von Locarno, der Bayrische Filmpreis und der Deutsche Filmpreis). „Schlafes Bruder“ von 1995 wurde für den Golden Globe nominiert. Ausgebildet wurde er an der Otto-Falckenberg-Schule in München, spielte u. a. an den Kammerspielen München und wurde danach von Regisseur Axel Corti ans „Theater in der Josefstadt Wien“ geholt. Mit großem Erfolg übernahm er 2005 die Rolle des Prinzen Otto im Musical „Ludwig2“ auf der Bühne des Festspielhauses Neuschwanstein in Füssen. Er trägt auch regelmäßig etwas für das Rahmenprogramm der Festspiele bei – in diesem Jahr sein Auftritt bei „Die Zaubergans“, wo er die verbindenden Texte sprach.
Andreas Bisowski spielt den witzigen radelnden Boten Hans. Er war so angetan davon, dass er nach den Aufführungen der Requisite sogar das Bühnenfahrrad abgekauft hat. Seine Schauspielausbildung absolvierte er an der Berliner Universität der Künste. Danach war er Ensemblemitglied des Maxim-Gorki-Theaters. Es folgten ein Engagement am Deutschen Theater Berlin und Inszenierungen mit Robert Wilson, Hans Neuenfels und Peter Wittenberg. Er spielte in TV-Serien und -Filmen wie „Der Landarzt“, „Balko“, „Stauffenberg“. Für die Neuköllner Oper schrieb er Theaterstücke, das Libretto für die Oper „Friendly Fire“ und die Oper „Wischen/No Vision“. Bei den Nibelungen war er schon in der ersten Inszenierung von Dieter Wedel als Hans der Bote zu sehen. Dieter Wedel hatte er durch einen Werbespot mit Mario Adorf kennen gelernt. Wie auch Thilo Keiner trat er in Worms bereits als Hunne Werbel bei Karin Baier auf.
Valerie Niehaus spielt eine Isländerin und dabei zum ersten Mal auch open-air. Sie ist 1974 geboren. 1987 wurde sie für Klaus Emmerichs TV-Film „Rote Erde“ entdeckt. Am Tag ihres Abiturs erhielt sie die Rolle der Julia in „Verbotene Liebe“ und war von 1994 bis 1996 in dieser Rolle zu sehen. 1997 zog sie nach New York und absolvierte ihre Ausbildung am Lee Strasberg Theatre Institute. Zu ihren weiteren Fernsehauftritten zählen die Krimiserie „SOKO 5113“ und Karola Zeisberg-Meeders TV-Film „Rosamunde Pilcher: Stunden der Entscheidung“. Im Kino war sie in Sönke Wortmanns Episodenfilm „St. Pauli bei Nacht“ und 2000 im Michael Karens Horrorthriller „Flashback – Mörderische Ferien“ zu sehen. Weitere Filme sind „Vera Brühne“ (2003) und „Donna Leon – Beweise, dass es böse ist“ (2005). 2006 landete sie einen großen Erfolg mit dem TV-Zweiteiler „Rose unter Dornen“ mit Heinz Hoenig. Derzeit im Fernsehen zu sehen ist sie in der ZDF-Serie „Alles über Anna“. Sie spielt auch in Wedels neuem Film „Mein alter Freund Fritz“ eine Krankenschwester, die Vanessa heißt. Bei den Arbeiten zu diesem Film wurde sie für die Nibelungenfestspiele verpflichtet. Die Erfahrungen, die sie hier machen konnte, sind eine große Bereicherung für sie und vor allem begeistert sie der Schauplatz der Bühne vor dem Dom. Sie findet es interessant, wie im diesjährigen Stück aufgezeigt wird, wie an Brünhild und den Isländerinnen eine ganze Kultur zerstört wird, und ist stolz, dass gerade mit ihrer Rolle ein Exempel statuiert wird. Sie war aber eine der wenigen, die erstmal zögerte, als sie die Rolle angeboten bekam. In Worms hatte sie für die Festspielzeit eine kleine Wohnung mit ihrem kleinen Sohn und ihrem Freund gemietet.
Weitere Isländerinnen:
Nina Kolberg debütierte nach ihrer Ausbildung für Bühnentanz der Stadt Köln am Kölner Schauspielhaus. Es folgten Engagements am Ernst-Deutsch-Theater, an den Hamburger Kammerspielen, am Altonaer Theater Hamburg und an weiteren Häusern. Im Fernsehen war sie in den Serien „Verbotene Liebe“, „Großstadtrevier“, und in Fernsehfilmen wie „Typische Sophie“ oder in „Die Rettungsflieger“ zu sehen. 2001 moderierte sie die „Ally McBeal Nacht“, im gleichen Jahr wurde sie für den Puck-Nachwuchspreis für junge Schauspieler nominiert.
Christina Dais absolvierte das Studium für Schauspiel, Gesang und Sprechausbildung bei Irene Haller in Heidelberg. Neben vielfältiger Bühnentätigkeit stand sie zum ersten Mal 1995 mit dem Episodenfilm „Der Mond scheint auch für Untermieter“ mit Heikko Deutschmann vor der Kamera. Seitdem wirkte sie in einigen TV-Produktionen mit, z. B. im „Tatort“, „Bin ich sexy?“, „Niedrig und Kuhnt“, „Zwei bei Kallwass“ und in Dieter Wedels Zweiteiler „Papa und Mama“. Neben zahlreichen Synchronarbeiten ist sie auch mit Lesungen präsent, so z. B. zu den letztjährigen Nibelungenfestspielen.
Dominique Voland ist eigentlich Tänzerin und lernte an der Palucca-Schule Dresden und an der Staatlichen Ballettschule Berlin. Sie tanzte an verschiedenen Theatern und Opernhäusern und war Mitglied der Jazzdance-Company „MM Dancers“. Bereits in den Nibelungen-Inszenierungen 2002 und 2003 in Worms spielte sie die schöne und stumme Dietlinde von Bechelaren.
Statisten und andere Mitwirkende
John von Düffel ist seit 2002 betreuender Dramaturg. Er las dieses Jahr auch aus seinen Romanen im Rahmenprogramm (siehe „Rahmenprogramm“).
James McDowell ist künstlerischer Betriebsdirektor
Thomas Schiwek und Ulrich Mieland sind die Geschäftsführer der Festspiele GmbH.
Monika Liegmann ist Pressereferentin von Dieter Wedel. Zuvor war sie VIP-Reporterin, die ihre Karriere bei der Pirmasenser Zeitung begann. Im Anschluss machte sie Praktika bei verschiedenen Zeitungen in den USA, war allerdings auch in Deutschland bei der Saarbrücker Zeitung beschäftigt. Durch ihre Starberichte hat sie Dieter Wedel kennen gelernt und sich als Pressereferentin selbstständig gemacht.
Michael Rütz ist technischer Leiter und war unter anderem dafür zuständig, dass der ganze Tribünenaufbau nach den Wünschen der Festspielleitung vonstatten ging. Er ist hauptberuflich technischer Direktor am Stadttheater Krefeld/Mönchengladbach. Der Auftrag in Worms macht ihm Spaß und er lernt hier viel dazu.
Jens Kilian: Bühnenbild
Ilse Welter-Fuchs aus Hamburg ist die Kostümbildnerin. An ihrem Arbeitsplatz stehen drei Nähmaschinen nebeneinander an einer Wand, eine große Platte auf mehreren Holzblöcken dient als Zuschneidefläche. An einer Kleiderstange hängen Kostüme. Seit 30 Jahren macht sie diesen Job. Innerhalb kürzester Zeit hat sie für das Nibelungenstück 300 Kostüme organisiert. Kriemhild, Ute, Brünhild und Hagen bekamen ein völlig neues Outfit und die Solisten benötigten 33 Anfertigungen großer, komplizierter Kostüme. Hilfe erhält sie von Gerlinde Schidrich, die wie jedes Jahr zu den Festspielen ihr Geschäft in Gundheim für sieben Wochen schließt, um hier mit ihrem schneiderischen Können zu unterstützen. Welter-Fuchs hat aber die Kostüme entworfen. Ein Brokatkleid für Kriemhild, ein Gewand mit Keulenärmeln für Ute, ein knapp bemessenes in Leder für Brünhild, einen so genannten „Gänsebauch“ über breitem Gürtel für Sindold, für Burgwächter Eisermann Anzug, Hornbrille und Seitenscheitel. Für das Ende des Stückes dann noch mal ein Businesskostüm für Kriemhild und eine Elvis-Lederjacke für Siegfried. Aber das Outfit der Charaktere ändert sich auch ein paar Mal während der Probezeit und diesen Anweisungen muss sie sich fügen und sie kreativ umsetzen. Um sich vorzubereiten, wälzte sie Bücher über die Kleidung des Mittelalters, um sie auf die heutige Zeit übertragen zu können. „Mittelalter, Renaissance, Moderne, das fließt alles zusammen“.
Gerlinde Schidrich schneidert für die Festspiele und unterstützt die Kostümbildnerin. Seit vier Jahren ist sie dabei und arbeitet zehn bis zwölf Stunden am Tag. Sie hat ihre eigenen Mitarbeiterinnen Marianne Röß und Anna Mengel. Anne Mengel ist Praktikantin. Mit den ganzen historischen Kostümen, Waffen und dem vier Meter hohen Eispferd der letzten vier Jahre Nibelungenspiele könnte man ein eigenes Museum aufmachen.
Wolfgang Siuda ist musikalischer Leiter. Er war schon bei den ersten Festspielen 2002 mit dabei und erinnert sich, dass das technisch gesehen viel stressiger war, da man noch völlig unerfahren war und es bis zum letzten Tag unklar blieb, ob man die Festspiele würde durchführen können. In letzter Not wurde er von Dieter Wedel damals noch kurz vor der Premiere direkt aus seinem Urlaub nach Worms geholt. Dieses Jahr war er zum zweiten Mal in dieser Funktion zugegen, allerdings vom ersten Tag an beteiligt. Er hatte vielfältige Aufgaben, denn in Rinkes Stück singen die Schauspieler wie die Komparsen. Er sucht die Lieder dafür aus, z. B. die finnische Nationalhymne für den Auftritt finnischer Soldaten, einiges komponiert er auch selbst und probt es mit den ‚Betroffenen‘. Zudem steuert er selbst komponierte Einspielungen bei, die die unterschiedlichen Klangwelten symbolisieren. Natürlich kümmert er sich auch um flächendeckende Klänge etwa bei Schlachten, wo die Musik die Wucht und Dramatik auf der Bühne unterstreicht. Livemusiker wie bei Karin Beiers Hebbel-Inszenierung gibt es in der neuen Wedel-Inszenierung nicht – ausgenommen von Trommlern, Fanfarenbläsern und dem Auftritt eines Saxophonisten, der kaum auffiel, da er nur für Hintergrundmusik beim Hochzeitsbankett am Burgunderhof sorgte. Es ist Jonathan van der Loo, der letztes Jahr schon als Trommler dabei war. Zusammen mit Jacob Eberhard, auch ein Trommler vom letzten Jahr, tritt er zudem wiederum als Trommler auf. Ständig fährt Siuda von Worms aus ins Hamburger Tonstudio, um die gewünschten Klänge zu komponieren und zu produzieren. Diese Klänge wurden auf Tonträger gespeichert, in den Computer übertragen, um dann vom Toningenieur abgefahren zu werden. Sein Job war also mit der Generalprobe beendet. Er hat bereits an vielen Schauspielhäusern gearbeitet, darunter das Burgtheater in Wien, die Kammerspiele in München oder das Schauspielhaus in Zürich. Er wollte gerne wieder mit Wedel zusammenarbeiten, kannte auch viele der Schauspieler und findet die Freilichtbühne vor dem Dom natürlich sehr reizvoll. Nicht zuletzt genießen die Nibelungen-Festspiele in Künstlerkreisen auch außergewöhnlichen Stellenwert.
Jacinta Walsh: Choreografie
Karsten Riecher ist der Waffenmeister, der mit seinen Helfern die Theaterwaffen herstellt und betreut (Schwerter, Hellebarden, Spieße, Schutzausrüstung, Handschuhe, Rüstung, Helm) und auch selbst im Stück mitspielt. Er ist bereits zum dritten Mal mit dabei.
Cornelia Ehrlich ist Chefin der Komparserie, die die Statisten betreut.
Klaus Figge: Kämpfe
Katharina Böhner ist Maskenbildnerin. Sie studierte in Dresden und ist seit fünf Jahren freiberuflich bei den Nibelungenfestspielen dabei. Sie stammt aus einer Theaterfamilie und hat sich dadurch aufs Schminken und Frisieren spezialisiert. Für Brünhild fertigte sie eine auch echten Haaren handgefertigte Perücke an, und da jedes Haar einzeln angepasst werden muss, benötigte sie dafür 50 Stunden. Täglich wird Brünhild von ihr zudem zwei Stunden mit Make-up am ganzen Körper geschminkt. Ihre Mitarbeiter Phil Hinze, Nicola Olbs, Nora Leibiz und Maria Reder schminken außer den Hauptdarstellern auch noch ein paar der neunzig Komparsen. Alle Schauspieler haben einen Maskenbildner, der für sie zuständig ist und sie mehrmals nachschminkt. Die Mikrophone werden an der Haut geschminkt, so dass man sie nicht mehr sieht. Sie sind an Stirn oder Wange angebracht. Im vorigen Jahr mussten die Schauspieler in einer Szene in ein Wasserbecken fallen, und damit keine Mikros beschädigt wurden, wurden diese mit Zellophanpapier abgedeckt und wieder überschminkt. Die Maske befindet sich in zwei kleinen gut ausgestatteten Containern, wo pro Raum drei Personen geschminkt und frisiert werden können. Auf einem langen Tisch stehen drei große beleuchtete Spiegel und Köpfe aus Styropor, die die Perücken tragen. Diese müssen, wie ganz normale Haare auch, gewaschen werden können.
Juliane Eckstein: Requisite
Tilo Steffens: Bühnenbildassistenz
Bastian Korff: Musikassistenz
Kerstin Matthies: Kostümassistenz
Ilona Rühl: Souffleuse
Jörg Grünsfelder ist mit seinem Team Tonmeister, Ferry Siering (fett film) ist Video-Designer und Ulrich Schneider Licht-Designer (siehe unter „Specials“).
Zum Team von Jörg Grünsfelder gehört auch der Tontechniker Christian Ruppel, der seit 18 Jahren weltweit als Tontechniker engagiert wird und bereits seit drei Jahren bei den Nibelungenspielen mit dabei ist. Er plant die Tontechnik komplett durch. Jeder Umkleide-Container für die Schauspieler verfügt auch noch über Lautsprecher, die sie über das Geschehen auf der Bühne informieren. Das meiste an Technik ist aber auf der Bühne. Die 30 Meter lange und 20 Meter tiefe Bühne wurde von 30 schwitzenden Arbeitern aufgebaut. Insgesamt sind 200 Arbeiter auf dem Gelände beschäftigt. Mehr zur Technik im Folgenden unter den „Specials“.
Detlev Hahne ist Stage Manager und kommandiert aus einem einfachen Bretterverschlag direkt hinter der Bühne. Er arbeitet seit 1977 als Inspizient am Stadttheater Heilbronn und kommt nunmehr seit fünf Jahren auch zu den Festspielen nach Worms, die er als „Abenteuer-Urlaub“ empfindet.
Shoddy ist einer der fünfzehn Bühnentechniker.
Monika Liegmann und Simone Schofer machen die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Patrick Garneur koordiniert mit zwei weiteren Kollegen den kompletten Aufbau der vielen Zelte, Rampen, Tische, Wege und Lampen. Es gibt ein großes Bewirtungszelt, weitere kleinere Zelte, einen eigenen VIP-Bereich, eine kleine Bühne für einen Pianospieler und auch Heylsschlösschen und erstmals Heylshof selber konnten mitgenutzt werden.
Stefan Lubojanski ist der Wormser Stammfahrer von Dieter Wedel, der diesen mitunter auch mit frisch gebackenem Zwetschgenkuchen seiner Mutter versorgt.
Thorsten Kublank ist einer der neunzig Statisten, für die Dieter Wedel voll des Lobes ist. Er ist einer derjenigen, die Wedel gerne als Schauspieler fördern möchte. Der 34-Jährige steht seit 17 Jahren beim Theaterkreis Bobenheim-Roxheim auf der Bühne und hat in der jetzigen Inszenierung sogar eine kleine Rolle bekommen. Er spielt einen fränkischen Bewerber an Brunhilds Hof, ein anderes Mal einen verletzten beinamputierten Burgundersoldaten, dann als ein Nibelunge und später, als sächsischer Soldat, steckt er Prügel von Siegfried ein. Aber die meisten Komparsen spielen mehrere Rollen. Wie viele seiner Kollegen spielt er bereits zum fünften Mal bei den Festspielen mit. Jeden ersten Freitag im Monat ist Statistentreffen. Man ist aus Leidenschaft dabei, denn Geld gibt es nicht viel. Für jede Probe 10 Euro, für jede Aufführung 25 Euro – für einen Zwölfstundentag, wofür man sich eigens Urlaub nimmt, ist das nicht gerade viel. Auch viele Schüler opfern dafür ihre Ferien. Die Schauspieler bedanken sich regelmäßig bei den Statisten, was eigentlich außergewöhnlich, denn im Theaterbetrieb keineswegs üblich ist.
Andreas Gaul ist Chef-Caterer. Zu seiner Arbeit siehe unten unter „Specials“, dort am Ende.
Manuela Liebig betreut das Marketing mit der lokalen Geschäftswelt und den Festspielen auf Messen.
Sidestep ist das eingesetzte Pferd auf der Bühne. Sollte man es unter Mitwirkenden erwähnen? Wohl durchaus, denn der Wallach gehört zum Stamm des Festspiel-Ensembles und ist zum dritten Mal mit dabei. In den beiden Vorjahren hatte er unter Karin Beiers Regie Otnit, Etzels Sohn, auf die Bühne getragen. In diesem Jahr darf er mit König Gunther auf dem Rücken vor die Zuschauer treten. Neben seiner Besitzerin Carmen Bonnet waren zwei weitere für ihn zuständig: die Kostümbildnerin und der Waffenmeister. Denn er musste einen imposanten Überwurf bekommen (dem König geziemend) und Waffenmeister Karsten Rischer fertigte für ihn einen Harnisch und Brustgeschirr aus Stahlblech. In der neuen Inszenierung stirbt er, wofür er zur Sicherheit von einem Papppferd gedoubelt wird. Denn eigentlich legt er sich auf Befehl auch hin und bleibt selbst länger liegen.
Die Hunde müssen dann auch ehrenhalber erwähnt werden. In den vergangenen Jahren gab es bei Karin Beiers Stück ja eine ganze Hundemeute. Diesmal blieb es auf drei Hunde des Königs Gunther beschränkt. Es gab für diese „Rollen“ ein richtiges Hunde-Casting, wo viele Hundebesitzer verschiedenster Rassen erschienen waren. Wedel war sehr ernsthaft bei der Auswahl, die wuchtige Dogge „Einstein“, die das Herz der Schauspieler sofort eroberte, war ihm zu „wuchtig“, die knuffigen Malteser waren ihm zu „süß“ und die Windhunde zu „edel“. In die engere Wahl kamen zwei Dobermänner („Attila“ und „Zora“ von Manuela Scheibs aus Biblis) und zwei Ridgebacks.(„Muffin“ und „Julius“ von Mareike Rosner-Groll aus Worms). Alle vier waren bei den Proben dabei, welche drei dann auf der Bühne letztlich standen, entzieht sich meinem Wissen. Und die Besitzer durften ihre Hunde auch auf die Bühne begleiten und als Statisten mitspielen.
Fantasy / Science-Fiction
10. Oktober 2006 Michael Birke
Mit „Der Windreiter“ setzt der gewöhnlich eher mit Science-Fiction und seiner starken Kommandantin Honor Harrington verbundene Autor David Weber seinen „Schwerter des Zorns“-Fantasyzyklus fort. Das Original „Wind Rider’s Oath“ wurde für die deutsche Übersetzung in die Einzelbände „Der Windreiter“ und „Die dunkle Göttin“ aufgeteilt.
Der sture Hradani-Barbar Bahzell Bahnakson erkämpfte sich in den ersten beiden Bänden der Serie die Achtung des Kriegsgottes Tomanâk, wurde gar zu einem seiner Paladine und bewahrte seine Heimat vor einem Krieg mit dem Reitervolk der Sothôii. Gegen alle Widerstände und Vorurteile auch in den eigenen Reihen (Hradani sind nicht ganz zu Unrecht als blutrünstige Barbaren bekannt, außerdem essen sie Pferde, was den Sothôii ein Gräuel ist) konnte er viel Unheil verhindern und sich behaupten, doch die bösen Götter Norfressas greifen nun zu subtileren Mitteln und greifen an mehreren Fronten an. Ausgerechnet der „pferdefressende“ Hradani Bahzell muss sich mit den Sothôii auseinandersetzen, deren von ihnen verehrte magische Rösser, die Windreiter, von einem unbekannten Feind gejagt werden. Kaeritha hingegen wird von Tomanâk zur Untersuchung von Rechtsstreitigkeiten der Kriegsbräute Lillinaras im Reich der Axt geschickt, hinter denen sich weit mehr als nur ein juristisches Problem steckt …
Bahzell ist ein Barbar im Stile Conans, jedoch mit einem gutmütigem Humor gesegnet, was sich auch in seinen Dialogen widerspiegelt. Egal, ob er mit dem Kriegsgott Tomanâk selbst oder seinem Freund Brandark spricht, sie sind stets eine gelungene Mischung aus an David Eddings erinnernder Schnoddrigkeit und Gutmütigkeit, gepaart mit dem passend rauen, herzlichen Humor der Hradani-Barbaren.
Standen in der umfangreichen und detaillierten Fantasywelt Norfressa, in der sich Zwerge, Elfen und Halbelfen (genannt „Rote Lords“) sowie das Reitervolk der Sothôii neben den barbarischen Hradani tummeln, im Vorgängerband „Der Kriegsgott“ neben dem Kampf gegen dunkle Götter und ihre Schergen die Überwindung von Vorurteilen im Mittelpunkt, wendet sich Weber in diesem Doppelband den an Amazonen erinnernden Kriegsbräuten der Lillinara sowie den magischen Rössern der Sothôii, den Windrennern, zu.
_Die Windrenner_
Die Windrenner sind den für ihre leichte Kavallerie berühmten Sothôii heilig. Die intelligenten Pferde leben in Herden auf den weiten Ebenen und kehren im Winter in der Art von Ehrengästen an den Höfen der Sothôii Fürsten ein. Körperlich größer und stärker, schneller und ausdauernder als normale Pferde, wählen sie sich ihre Reiter selbst aus. Diese können sich telepathisch mit ihrem Windrenner verständigen. Als Windreiter auserwählt zu werden, ist für jeden Sothôii die größte denkbare Ehre.
Das Konzept hinter dieser intelligenten Pferderasse ist eine vereinfachte Version der „Nighthorses“ in C.J. Cherryhs „Finisterre“-Zyklus, von dem Weber sichtlich inspiriert wurde. Wieder einmal spielt er mit Vorurteilen, denn gerade den aus dem Stamm der Pferdediebe stammenden Barbaren Bahzell ihren traditionellen Erzfeinden, den Sothôii, und ihren Windreitern zur Hilfe zu schicken, garantiert Konfliktpotenzial. Dieses wird jedoch bei weitem nicht ausgereizt wie in den vorherigen Bänden, stattdessen konzentriert sich Weber auf die Beschreibung der neuen Pferderasse. Kaerithas Abenteuer im Reich der Axt wird man erst im Folgeband lesen können.
Hier ist auch der große Haken dieses Buchs zu finden: Es endet in der Mitte abrupt mit der Heilung einer verwundeten Windrenner-Stute durch Bahzell. Die Aufteilung ist gründlich misslungen, denn so hat die Geschichte keinen Anfang und kein Ende, bleibt völlig offen und es mangelt an Höhepunkten. So fehlt der Bezug zu Kaeritha und der ins Reich der Axt geflohenen Tochter Baron Trellians, die sich den Kriegsbräuten anschließen will, um einer politischen Hochzeit zu entgehen. Der Handlungsbogen um Selbstbestimmung und Emanzipation geht so völlig unter. Auch an der sonst üblichen und gelungenen Action wird diesmal leider arg gespart.
_Fazit_
Die Aufteilung hat diesem Roman schwer geschadet. „Der Windreiter“ und „Die dunkle Göttin“ haben mit 351 beziehungsweise 366 Seiten fast nur die Hälfte des Umfangs der 559 Seiten von „Der Kriegsgott“. Die Handlung baut sich langsam auf und kommt erst im Folgeband in die Gänge, dessen Verständnis durch die Aufteilung erheblich erschwert wird. Die sieben Seiten lange Auflistung der wichtigsten Personen, die diesem Roman zusätzlich zu dem exzellenten Kartenmaterial und dem detaillierten Anhang zum kompletten griechisch-nordisch inspirierten Götterpantheon Norfressas hinzugefügt wurde, kann da leider auch nicht helfen.
Denn die sonst so zahlreichen humorvollen Dialoge Bahzells werden zugunsten einer Unzahl neu eingeführter und eher blasser Charaktere vernachlässigt, die schreckliche Bedrohung der Windreiter bleibt diffus. Dennoch ist dieser Roman lesenswert – man muss ihn nur zusammen mit dem Folgeband „Die dunkle Göttin“ lesen. Denn die neue Schwerpunktsetzung Webers auf Themen wie Emanzipation und Selbstbestimmung wird klarer und die Handlung unterhaltsamer, sobald sich der Handlungsstrang Bahzells mit dem der in diesem Roman nahezu nicht erwähnten Kaeritha im Reich der Axt verbindet.
Der „Schwerter des Zorns“-Zyklus bei |Buchwurm.info|:
1. [„Der Schwur“ 2093
2. [„Der Kriegsgott“ 2889
3. [„Der Windreiter“ 2890
4. [„Die dunkle Göttin“ 2891
Comics / Graphic Novels
10. Oktober 2006 Björn BackesSchreibe einen Kommentar
_Story_
In einer fernen Zukunft: eine feindliche Lebensform, eine moderne Variante des klassischen Vampirs, deren Ziele jedoch noch unklar sind. Der Vatikan ist die erste Instanz, die sich gegen diese neue Bedrohung aufzulehnen vermag und sie überhaupt erst erkennt. Und so wird von Rom aus der geheimnisvolle Pater Abel Nightroad entsandt, um die Gefahr zu analysieren und schließlich auch abzuwenden. Als Agent der Spezialeinheit Ax ermittelt er verdeckt gegen den zwielichtigen Graf Gyula Kádár, der in der Stadt Istvan sein Unwesen treibt und als Vorhut dieser Vampir-Spezies gilt.
Bei diesem Auftrag lernt Nightroad auch bei einem zufälligen Zusammenstoß die gläubige Schwester Esther und ihren Gefährten Dietrich kennen, die wegen ihrer grausamen Vergangenheit beide Rache an den Vampiren geschworen haben. In ihnen findet der Pater willkommene Verstärkung gegen den undurchschaubaren Grafen, ist aber schließlich doch auf sich alleine gestellt. Während Esther sich nämlich als zu schwach erweist, um sich gegen die ungerechten Begleiterscheinungen dieses Kampfes zu behaupten, entwickelt sich der verräterische Dietrich zu einem gefürchteten Gegner, dessen Motive ebenso rätselhaft sind wie die des Grafen. Und das macht das ungleiche Gefecht zwischen dem Vatikan und den befeindeten Vampiren nicht gerade leichter.
_Meine Meinung_
Mit „Trinity Blood“ beginnt dieser Tage eine neue Manga-Serie auf dem |Panini|-Sublabel |Planet Manga|, und dazu eine von Beginn an äußerst vielversprechende. Autor Sunao Yoshida hat mit dieser Serie eine etwas eigenwillige, teils auch humorvolle Vampirstory entworfen, bei der es direkt zum Auftakt schon ordentlich zur Sache geht und der Leser auch sofort mitten ins actionreiche Geschehen hineinbefördert wird, noch bevor er sich überhaupt mal ein Bild über die Rahmenbedingungen machen kann – und das ohne jegliche Hektik. Nicht schlecht, wird man denken, allerdings ist „Trinity Blood“ aufgrund ihrer vielfältigen Charaktere keine herkömmliche Vampir-Serie, sondern schon eine etwas verzwicktere Sache, die auf den ersten Blick leicht überschaubar scheint, im Nachhinein aber dann doch komplexer ist, als der Fortschritt der Handlung dies vermuten lässt.
Feststeht am Beginn lediglich, wie einzelne Rollen verteilt sind, und in diesem Sinne weiß der Leser erstmal nur, dass sich Nightroad als menschlicher Vertreter des Vatikans und Gyula als unbekannte, vampirische Macht gegenüberstehen. Doch was bezweckt der vermeintliche Schwächling Dietrich? Was steckt hinter der schüchternen Esther? Und wie ist ihre leidenschaftliche Hingabe zur Bischöfin zu verstehen, deren Tod sie völlig aus der Bahn wirft?
Ungeklärte Fragen gibt es bereits im ersten Band von „Trinity Blood“ genügend und ihre zwischenzeitlichen Lösungen sind auch durchaus befriedigend, lassen einen nicht schon am Anfang verwirrt und grübelnd zurück, obwohl sie eigentlich auch weiter offen bleiben. Der Autor macht dies äußerst geschickt, indem er Spannung kreiert, diese ausbaut, ihre Hintergründe kurzzeitig aufdeckt, aber auch weiterhin noch Hintertürchen offen lässt, die das Ganze nicht endgültig erscheinen lassen, was es ja dann auch nicht ist.
Lediglich ein Problem ergibt sich hieraus, und das sind die manchmal überzogenen Ausschmückungen der Szenarien. Aus dem stetigen Hin und Her ergeben sich vor allem im direkten Aufeinandertreffen von Gyula und dem Pater einige Längen, welche die Konfliktlösung nur sinnlos aufschieben, aber keine Gründe liefern, warum dies jetzt noch nötig ist. Jeder kündigt x-mal an, dass er sich des jeweils anderen jetzt entledigen wird, es kommt zu mehrfachen Kampfhandlungen, aber es passiert nichts Konkretes. Und das hemmt die Entwicklung des Plots doch ganz ordentlich. Erst zum Schluss hin, eigentlich erst mit dem sich langsam andeutenden Cliffhanger, erlangt Yoshida die vorab erzielte Spannung wieder zurück, kommt wieder deutlicher auf den Punkt und bringt der gesamten Geschichte auch das Potenzial zurück, das zwischenzeitlich ein wenig auf der Kippe stand.
Ganz zufrieden sein darf man wegen dieser etwas zu ausgiebig gestreckten Abläufe im dritten von insgesamt vier Kapiteln daher auch noch nicht mit „Trinity Blood“. Die Story ist interessant, ebenso die Charaktere, und man hat auch sofort den Eindruck, als würde der Autor von der ersten Seite an ziemlich zielgerichtet auf eine Entwicklung hinarbeiten. Doch er verliert für eine kurze Zeit die ansonsten sehr stringente Spur, zerrt so ein wenig an der Geduld und rettet sich durch einen dennoch befriedigenden Übergang geschickt über die Zeit, um zum Schluss dann wieder das Tempo zu steigern.
Keine schlechte Sache, klarer Fall, aber (zumindest gilt dies für den ersten Band) auch noch nicht das, was man einen überragenden Auftakt nennen darf. Dank der starken Zeichnungen, die besonders die Hauptfiguren sehr vielseitig und individuell erfassen, ist „Trinity Blood“ aber dennoch sehr zu empfehlen, nicht zuletzt, weil man innerlich weiß, dass in dieser Serie noch jede Menge Potenzial schlummert, das erst noch ausgereizt werden muss. Gerade erschien auch Teil zwei, dann wird man hierzu mehr sagen können.
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Comics / Graphic Novels
9. Oktober 2006 Björn BackesSchreibe einen Kommentar
_Story_
Die beiden Brüder Alphonse und Edward Elric ziehen durch die Welt, um ihr alchemistisches Grundwissen noch weiter auszubauen. Während der eine unter dem Makel eines verlorenen Beins leidet, steckt der zweite in einer riesigen Stahlrüstung – beides Konsequenzen von Grenzübertretungen in ihrem Job als Alchemisten. Doch die jungen Männer haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, an ihrem Zustand etwas ändern zu können.
Zumindest Alphonse glaubt immer noch daran, dass er eines Tages wieder seine Rüstung ablegen kann, auch wenn er gemeinsam mit Edward schon nicht mehr ihre Mutter wiederbeleben konnte. Ein Problem haben die beiden jedoch: Wirklich überall, wo sie auftauchen, ist Ärger garantiert.
Vor allem Edwards Stellung als Staatsalchemist sorgt immer wieder für Unruhe, weil die Ganoven, die den ungleichen Brüdern begegnen, genau wissen, dass sie ihnen kaum gewachsen sind. Und so ist die Reise der beiden Alchemisten geprägt von Rangeleien, Hinterlisten und Schmierereien. Edward und Alphonse machen sich aber deswegen keinen Stress, denn wo ihre vermeintlichen Gegner ziemlich cool auftreten, sind die zwei Alchemisten noch einen ganzen Tick abgezockter …
_Meine Meinung_
Der Auftakt der neuen Manga-Serie „Fullmetal Alchemist“ ist recht ungewöhnlich ausgefallen. Zwei völlig obskure Typen ziehen umher, kämpfen in gewissem Sinne für Gerechtigkeit (oder besser gesagt gegen Ungerechtigkeit) und kümmern sich dann doch wieder um kaum etwas anderes als sich selbst.
Der erste Band ist in mehrere Kapitel unterteilt, die grundsätzlich für sich selber stehen könnten, aber auch in einem gewissen Zusammenhang zueinander stehen. Anders gesagt: Es gibt einen roten Faden, der die einzelnen Episoden zusammenhält, aber nicht notwendig verfolgt werden muss. Zu Beginn werden auch direkt die gesamten Eigenheiten der Handlung bzw. ihrer Charaktere offenbar. Große Klappe vs. große Klappe, sprich ständige Wortgefechte sind an der Tagesordnung, meist geführt vom Staatsalchemisten und Unruhestifter Nummer eins, Elric, der sich hier als Moralapostel aufspielt und einen betrügerischen Pater entlarven will – aber nicht mit aller Konsequenz.
Dieser Schein-Geistliche gibt vor, er könne Menschen wiederbeleben, allerdings wissen die beiden aus eigener Erfahrung, dass dies nicht möglich ist. Mit dem Grundwissen der Alchemie ausgestattet, bekämpfen sie seine Theorien, leisten permanent Widerstand, rufen den Zorn des Paters und seiner verbrecherischer Helfershelfer auf sich herab. Und urplötzlich bekommen die beiden auch Anerkennung bei den Bürgern der Stadt, doch bevor ihnen dies nahe gehen kann, lassen sie die Leute dort wieder mit ihren Problemen links liegen, selbst ein Mädchen, das sehr großes Vertrauen in den Pater gesetzt hat und nun dringende Unterstützung braucht.
Im nächsten Abschnitt wollen Alphonse und Edward eigentlich nur einen Zwischenstopp in einem Gasthaus machen, bekommen sich aber – wieder mal wegen der Position des Staatsalchemisten – mit den Eignern in die Wolle. Dann aber lernen die beiden den Grund für den dortigen Unmut kennen. Der korrupte Leutnant presst haufenweise Steuergelder aus den unschuldigen Bürgern heraus, muss aber einlenken, als er die beiden Elric-Brüder antrifft. Diese nämlich haben sich schon einen Plan zurechtgelegt, wie sie in der Ortschaft wieder für Gerechtigkeit sorgen und den falschen Politiker überlisten können.
Im letzten Kapitel kämpfen die Elric-Brüder gegen eine Bande von Geiselnehmern an, die zudem einen ganzen Zug in Beschlag genommen haben. Gewieft wie immer setzen sie sich zur Wehr und sprengen die Situation mit taktischer Raffinesse und einer guten Spürnase.
Insgesamt sind alle drei Geschichten ziemlich stark und bieten kurzweilige, teils auch sehr humorvolle Unterhaltung. Lediglich im letzten Teil namens „Kampf im Zug“ gerät die Action zu Ungunsten der Spannung ein wenig außer Kontrolle, was aber ebenfalls durch viele lustige Szenen und Dialoge wieder locker ausgemerzt werden kann. Dies ist auch der mitunter wichtigste Aspekt dieser frischen Serie: Es ist leichte Kost, hat aber trotzdem von allem etwas und ist überdies auch sehr ausgewogen. Und noch viel wichtiger: Die Charaktere sind echt sympathisch, cool und fördern den Spaß umso mehr.
„Fullmetal Alchemist“ ist sicherlich kein innovativer Überflieger in seinem Genre, aber eine echte Bereicherung. Das kann ich zumindest für den ersten Band unterschreiben. Die beiden Elric-Brüder haben Witz und sind super illustriert, soll heißen, auch die Rahmenbedingungen stimmen. Auf den Punkt gebracht, heißt dies, dass der Einstand absolut gelungen ist und man auf jeden Fall noch einiges von dieser Serie erwarten darf. Die Fortsetzung folgt im November 2006. Hoffentlich dann auch wieder mit so lässigem Manga-Entertainment.
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Fantasy / Science-Fiction
9. Oktober 2006 Michael DrewniokSchreibe einen Kommentar
Eine Suchaktion führt den Raumkreuzer C-57-D auf den Planeten Altair 4, doch der einzige Überlebende eines vor Jahren dort havarierten Forschungsschiffs will gar nicht gerettet werden. Statt Dankbarkeit erwartet die Ankömmlinge ein unsichtbares Ungeheuer, das sie in Stücke reißen will … – Angelehnt an Shakespeares Drama „Der Sturm“ entstand dieses solide geschriebene und übersetzte Buch zum Filmklassiker von 1956, das sich erstaunlich spannend und wie ein Kompendium der Science Fiction seiner Entstehungszeit liest.
W. J. Stuart – Alarm im Weltall weiterlesen →
Fantasy / Science-Fiction
8. Oktober 2006 Maike PfalzSchreibe einen Kommentar
Band 1: [„Wächter der Nacht“ 1766
Band 2: [„Wächter des Tages“ 2390
Sergej Lukianenko lädt uns in seinem dritten Teil der Wächter-Serie erneut dazu ein, mit ihm die verschiedenen Schichten des Zwielichts zu erkunden. Dieses Mal werden wir mit den Anderen bis in die fünfte Schicht des Zwielichts eintreten, die wir bislang nie kennen lernen durften. Ins Zwielicht können nur die so genannten Anderen eintreten, nämlich Menschen mit besonderen Kräften. Die Anderen teilen sich in die Dunklen und die Lichten ein, die einst einen Waffenstillstand geschlossen haben, der nun von der Tagwache und der Nachtwache kontrolliert wird. In diesem Waffenstillstand müssen sich die Kräfte der beiden Wachen stets ausgleichen, doch haben bereits die ersten beiden Bände der Wächter-Serie gezeigt, dass dieses Kräftegleichgewicht mehr als wackelig ist. Im vorliegenden Teil geht es jedoch nicht so sehr um die Zwistigkeiten zwischen den beiden Wachen, sondern um den Konflikt zwischen Menschen und Anderen, denn was sind überhaupt Andere? In diesem Buch verrät es uns Sergej Lukianenko …
_Tritt ein ins Zwielicht_
Im dritten Teil steht erneut der Lichte Anton im Mittelpunkt, mit dem in „Wächter der Nacht“ einst alles begonnen hat. Anton lebt inzwischen mit der mächtigen Anderen Swetlana zusammen, die ihm zuliebe aus der Wache ausgetreten ist. Die beiden haben eine kleine Tochter zusammen, deren Schicksal im ersten Teil bereits vorbestimmt worden ist und die voraussichtlich die mächtigste Andere aller Zeiten werden wird. Während Anton von seinem Chef Geser zu einem Auftrag weggeschickt wird, verbringt Swetlana mit ihrer Mutter und ihrer Tochter ihren Urlaub und fürchtet gleichzeitig um Antons Leben, da sie in die Zukunft schauen kann und spürt, dass er in eine Falle tappen könnte.
Mysteriöse Dinge sind aufzudecken, denn die beiden Moskauer Wachen und auch die Inquisition haben Briefe erhalten von jemandem, der sie darüber hinformieren will, dass ein Anderer einem Menschen alles über die Anderen verraten hat und diesen Menschen zu einem Anderen machen will. Wer hat aber diese Briefe geschrieben, denn die Adresse der Inquisition kennen alleine Geser und Sebulon?! Anton geht dem auf den Grund und trifft dabei auch auf seinen alten Freund Kostja, der inzwischen zu einem hohen Vampir geworden ist. Aber auch die Inquisition ist wieder durch einige Magier vertreten, um herauszufinden, wer einen Menschen zu einem Anderen machen möchte.
„Wächter des Zwielichts“ teilt sich wie schon die Vorgänger in drei Geschichten ein, die in diesem Fall allerdings eng miteinander verknüpft sind und immer Anton als Bezugsperson haben. Nachdem die mysteriöse Geschichte um die anonymen Briefe gelöst ist, fährt Anton nämlich zu Swetlana und seiner Tochter und trifft dort im Urlaub auf eine überaus mächtige Hexe, die sich jedoch nie hat registrieren lassen. Schon gehen die Ermittlungen also weiter, sodass Anton keinen Urlaub haben wird.
_Die faszinierende Welt der Anderen_
Sergej Lukianenko hat mit seiner Wächter-Serie eine Geschichte erschaffen, die auch weit über Russland hinaus erfolgreich ist, und dies nicht ohne guten Grund. Lukianenkos Welt der Anderen ist einfach nur faszinierend. Obwohl die Idee an sich einfach ist und wir Magier, Vampire und Werwölfe schon aus zahlreichen anderen Romanen kennen, hebt Lukianenko sich dennoch von der Masse der Fantasy-Schreiber positiv ab. Unter anderem liegt das darin begründet, dass seine Zeichnungen nicht schwarz-weiß sind. Die Lichten sind zwar die offiziell Guten und die Dunklen die Bösen, doch haben wir bereits in den ersten beiden Teilen der Wächter-Reihe gelernt, dass auch die Lichten ihre dunklen Seiten haben und sogar der mächtige Geser, der die Nachtwache anführt, immer wieder neue Intrigen spinnt und seine eigenen Wächter für seine egoistischen Zwecke benutzt oder sogar missbraucht.
Dass der Leser dennoch eher mit den Lichten mitfiebert als mit den Dunklen, liegt sicherlich in der Person des Anton begründet, der immer wieder auftaucht und in einigen der Geschichten unsere Bezugsperson ist, die wir auf Schritt und Tritt begleiten. Anton wird zu einem guten Bekannten, der uns nur allzu menschlich erscheint. Antons Schicksal ist dadurch vorbestimmt, dass er nie ein ganz mächtiger Anderer werden wird, immer wird er im Schatten seiner Freundin Swetlana stehen, die schon jetzt mächtiger ist als er. Aus Liebe zu Anton ist Swetlana zwar aus der Wache ausgetreten, dennoch nagt es immer wieder an Anton, dass sowohl Swetlana als auch seine Tochter über höhere Kräfte verfügen werden als er selbst. Dass dies Antons Stolz verletzt und ihn an sich selbst zweifeln lässt, ist nur natürlich, auch wenn sich Antons Zorn dadurch oft genug gegen seine eigene Freundin richtet, die ihn in dieser Hinsicht immer wieder übertreffen wird. Wir lernen im Laufe der Erzählung immer neue Seiten von Antons Charakter kennen, der für uns dadurch immer vollständiger wird. Doch das Schicksal hält auch für Anton dieses Mal noch einige Überraschungen bereit, die ihn einen großen Schritt nach vorne machen lassen.
Ein sehr interessanter Konflikt ist in „Wächter des Zwielichts“ der zwischen Anton und seinem früheren Nachbarn Kostja, der zu einem mächtigen Vampir aufgestiegen ist. Anton weiß, auf welche Weise ein Vampir zu solcher Macht gelangt, nämlich dadurch, dass er Menschen aussaugt. Aus Angst vor den möglichen Enthüllungen ist Anton daher bisher davor zurückgeschreckt, Kostjas Akte zu lesen, in der festgehalten ist, wie viele Menschen zu seinen Opfern geworden sind. Obwohl Anton und Kostja auf unterschiedlichen Seiten stehen, haben sie ihre frühere Freundschaft noch nicht vergessen und hängen daher ihren eigenen wehmütigen Erinnerungen nach. Lukianenko nutzt diese alte Freundschaft aus und spinnt darum einen Konflikt, der in „Wächter des Zwielichts“ zu weit reichenden Konsequenzen führen könnte.
_Faszinosum Lukianenko_
Sergej Lukianenko spinnt in diesem dritten Band „Wächter des Zwielichts“ seine Geschichte der Anderen weiter und bedient sich wieder seiner erfolgversprechenden Elemente: Auch in diesem Teil streut Lukianenko Gerüchte und Verdachtsmomente ein, die die Protagonisten, aber auch die Leser zum Nachdenken bringen. Besonders Geser und Sebulon bleiben in ihrer Charakterzeichnung stets undurchsichtig, auch wenn Sebulon in diesem Buch nur eine kleine Nebenrolle spielt. Immer wieder gibt es Momente, in denen die anderen das Gefühl haben, dass jemand hinter all den mysteriösen Ereignissen steckt, der eigene Ziele verfolgt und die Anderen dafür missbraucht. Aber Lukianenko lässt uns stets so lange wie möglich im Unklaren, sodass genug Gelegenheit bleibt, eigene Vermutungen anzustellen. Durch diese „Hinhaltetaktik“ animiert uns Lukianenko natürlich dazu, seine Geschichte immer weiter zu verfolgen und seine Bücher weiter zu lesen, da wir auf eine echte Aufklärung für manche Geschehnisse hoffen, die bislang ausgeblieben ist.
Wie schon in den beiden ersten Bänden der Wächter-Reihe ist auch „Wächter des Zwielichts“ in drei Geschichten unterteilt, die jeweils ein anderes „Problem“ thematisieren, doch in diesem Buch sind die Geschichten eng miteinander verwoben und gehen direkt ineinander über. Es sind keine Zäsuren eingebaut, sodass kaum Zeit zum Durchatmen bleibt. Die Lektüre erleichtert uns Lukianenko dieses Mal dadurch, dass stets Anton im Mittelpunkt steht und wir uns nicht immer neue Figuren kennen lernen, wie es im zweiten Teil „Wächter des Tages“ der Fall gewesen ist.
Lukianenko ist inzwischen zu einem Faszinosum geworden, seine Bücher verkaufen sich auch in der westlichen Welt hervorragend, sodass sicherlich schon wieder zahlreiche Buchfans sehnsüchtig auf die „Wächter der Ewigkeit“ warten, also auf den vierten Teil der Reihe. Lukianenko hat eine fantastische Welt geschaffen, in der Menschen und Andere zusammenleben, und in diesem dritten Teil wagt Lukianenko erstmals eine Erklärung, was Andere überhaupt sind. Dabei bedient er sich einfacher Grundsätze der Thermodynamik, die ich hier etwas merkwürdig fand, aber glücklicherweise hält er sich mit physikalischen Spekulationen weitgehend zurück, sodass man darüber hinwegsehen kann. Wer also wissen möchte, was Lukianenko sich unter den Anderen vorstellt, sollte unbedingt zu den „Wächtern des Zwielichts“ greifen.
_Und wieder heißt es warten_
Ungeduldig habe ich auf das Erscheinen des dritten Teils der Wächter-Reihe gewartet, doch habe ich es wieder nicht geschafft, den Lesegenuss hinauszuzögern. Dies macht Lukianenko praktisch unmöglich, da er genau an den richtigen Stellen Cliffhanger einbaut und seine Hauptfiguren immer wieder in gefährliche Situationen geraten lässt, die dringend überwunden werden müssen. Das Erzähltempo in „Wächter des Zwielichts“ empfand ich als noch höher als bei den beiden Vorgängerbänden. Die Übergänge zwischen den einzelnen Geschichten waren fließend, sodass ich dieses Buch praktisch nicht aus der Hand legen konnte, was mit Sicherheit aber auch auf die gelungene Figurenzeichnung zurückzuführen ist. Von allen auftretenden Figuren lernen wir neue Seiten und Eigenarten kennen, sodass sich langsam aber sicher ein immer detaillierteres Bild der Hauptcharaktere zusammensetzt.
„Wächter des Zwielichts“ überzeugt auf ganzer Linie und führt überzeugend fort, was Lukianenko in „Wächter der Nacht“ und „Wächter des Tages“ bereits begonnen hat. Diese Wächter-Serie ist zu Recht so erfolgreich und ich warte schon jetzt wieder sehnsüchtig auf das Erscheinen der [„Wächter der Ewigkeit“! 3594
http://www.heyne.de
http://lukianenko.ru/eng/
|Anm.: Zuvor erscheint bei Heyne Anfang 2007 noch die 700-seitige Space-Opera [„Spektrum“.]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3453522338/powermetalde-21 Man darf gespannt sein.|
8. Oktober 2006 Michael DrewniokSchreibe einen Kommentar
Nach drei Jahren Pension nimmt Hieronymus „Harry“ Bosch wieder den Dienst für das Los Angeles Police Department auf. Nachdem sich seine ehemalige Partnerin Kizmin Rider eindringlich für ihn eingesetzt hatte, holte ihn der neue Polizeichef zurück. Bosch und Rider arbeiten nunmehr für „Offen-Ungelöst“, eine Unterabteilung der Mordkommission, die sich mit ungelösten Kapitalverbrechen der Vergangenheit beschäftigt. 8000 Mordfälle blieben seit 1960 im Großraum Los Angeles ungesühnt – eine Zahl, die Bosch tatendurstig zu senken gedenkt.
Sein erster Fall scheint einfach: 1988 wurde die 16-jährige Rebecca Lost erschossen in der Nähe ihres Elternhauses gefunden. Die Tatwaffe lag neben der Leiche; der Hahn hatte ein Stückchen Menschenhaut abgerissen, die möglicherweise dem Mörder gehörte, was mit den zeitgenössischen Untersuchungsmethoden indes nicht hatte geklärt werden können. Seither hat die Kriminalistik vor allem im Bereich der Identifikation per DNS gewaltige Fortschritte gemacht. Die konservierte Probe wurde neu untersucht, die Ergebnisse durch neue Datenbänke gejagt. Ein Name wurde ausgespuckt: Der Hautfetzen gehört Roland Mackey, einem kleinkriminellen Drogenabhängigen mit reicher Knasterfahrung, die indes Gewalt bisher nicht einschloss.
Bosch hat kein gutes Gefühl; nach seiner Erfahrung passt Mackey nicht ins Täterprofil. Stattdessen lässt die Ermittlung einen monströsen Fall von „High Jingo“ zu Tage treten: eine Verschwörung krimineller Polizisten in hohen Rängen, unter denen sich ausgerechnet Chief Deputy Iverson, Boschs alter Intimfeind, befindet. Als der längst begraben geglaubte Lost-Fall in gesamter Breite aufgerollt wird, reagiert man ‚oben‘ erst nervös und beginnt dann, die ganze Macht des Departments gegen Bosch aufzuwenden …
Wird ein Mordfall nicht binnen möglichst weniger Tage gelöst, beginnen die Spuren sich abzukühlen, die Ermittlungen geraten in Gefahr abzuirren und müssen schlimmstenfalls eingestellt werden: Der Fall ist „kalt“ geworden, die Beweismittel verschwinden in einer großen Kiste und verstauben in einem Lager, wo in Sachen Gerechtigkeit die Zeit buchstäblich stehen bleibt. Die Polizei hasst diese Fälle, denn nehmen sie an Zahl allzu stark zu, erregen sie die Aufmerksamkeit nicht unbedingt wohlmeinender Kritiker.
In seinem neuen Fall öffnet nun ausgerechnet Harry Bosch eine dieser „kalten“ Zeitkapseln. Wie sich herausstellt, ist dieser Temperaturangabe keineswegs zu trauen: Ein Mord beendet zwar das Leben eines Menschen, doch sind da die Familie, Freunde, Kollegen. In Fällen gewaltsamen Todes konservieren die Hinterbliebenen Empfindungen wie Entsetzen, Trauer und Zorn perfekt unter einer dünnen Schicht seelischer Asche. „Vergessene Stimmen“ schildert nicht nur die Geschichte einer kriminalistischen Ermittlung, sondern thematisiert auch die Folgen einer Tragödie, die eben nicht vergessen wird: Die Toten sprechen mit den Stimmen derjenigen, die sie zurücklassen.
Zuverlässig verschmilzt Michael Connelly die beiden Komponenten zu einem rasanten Thriller mit Tiefgang. Nachdem der Autor zuletzt mit seinem Helden experimentierte, indem er u. a. die Erzählperspektive wechselte (s. u.), kehrt er zur bewährten Form zurück. „High Jingo“ heißt ein Großkapitel des vorliegenden Romans. Dies ist Polizeijargon für ein Komplott in der Führungsspitze: Hochrangige Beamte missbrauchen ihre beträchtlichen Kompetenzen, um eigene Verbrechen oder kriminelle Taten politischer Verbündeter zu decken.
Ermittlungen in diese Richtung sind für einen Detective wie Bosch, der recht weit unten in der Hierarchie steht, verständlicherweise eine brandgefährliche Sache. Korrupte Polizisten müssen besonders harte Strafe gewärtigen, was sie antreibt, bis zum Äußersten zu gehen, wenn sie aufzufliegen drohen. Verfügen sie gleichzeitig über entsprechende Macht, brechen für den Ermittler harte Zeiten an. Harry Bosch ist notgedrungen ein „High Jingo“-Experte. Schon mehrfach hat er sich den Zorn krimineller Vorgesetzter zugezogen, waren Karriere und sogar Leben in Gefahr. „High Jingo“ war mit ein Grund für Boschs Kündigung.
In gewisser Hinsicht wiederholt sich die Geschichte also. Trifft dies auch auf Connellys Bosch-Serie zu, die immerhin in die elfte Runde geht? Glücklicherweise nein, denn die Zeit ist nicht stehen geblieben. Der Kunstgriff, Bosch für einige Jahre aus dem Polizeidienst zu nehmen, gestattet die Konfrontation des Helden mit einem System, das sich entwickelt hat. Das „neue“ LAPD muss Harry Bosch – zusammen mit dem Leser – erst kennen lernen; geschickt baut Connelly einige Szenen in die Handlung ein, die den Detective merken lassen, dass er Rost angesetzt hat.
Dennoch ist Harry Bosch definitiv zurück – nicht nur als zentrale Figur einer der besten Serien des modernen angelsächsischen Kriminalromans, sondern vor allem als Cop mit Dienstmarke und –waffe. Drei Jahre bzw. zwei Romanlängen war Bosch „draußen“; zermürbt von polizeiinternen Querelen und ausgebrannt von zu viel hautnah miterlebter alltäglicher Gewalt. Doch rasch wurde ihm klar, dass er einen Fehler begangen hatte. Zwar ging er als Privatdetektiv weiterhin auf Mörderfang, aber er vermisste die Vorrechte und Möglichkeiten, die ihm der Polizeidienst sicherte. Ohne blieb er eingeschränkt und angreifbar – ein zahnloser Tiger, dem mehr als genug Zeit blieb, sich seinem komplizierten Privatleben zu widmen.
Der Harry Bosch dieser Phase berichtete in der „Ich“-Form über seine Erlebnisse. So erhielten die Leser auch einen tieferen Einblick in das Seelenleben dieser Figur, was ihr nicht zwangsläufig gut bekam, weil darüber verloren ging, was die eigentliche Attraktivität der Harry-Bosch-Reihe ausmacht: die Verzahnung zwischen Polizeiarbeit und aktuellem Tagesgeschehen, wobei ein Mordfall als roter Faden dient, der tief in gesellschaftlichen und menschlichen Abgründen ausläuft.
Auch in der Welt des Hieronymus Bosch heilt die Zeit manche Wunde. Ein neuer Besen kehrt im LAPD, und für Bosch, den Ermittler mit eindrucksvoller Erfolgsquote, gibt es eine ideale Aufgabe – er versucht sich an Fällen, die nie geklärt werden konnten; ein angenehmer Nebeneffekt, so denkt der Polizeichef, ist die Tatsache, dass Bosch bei diesen Ermittlungen niemandem auf die Füße treten kann.
Womit er sich natürlich getäuscht hat, was er nach seinem einleitenden Vortrag selbst hätte wissen müssen, hat er doch selbst betont, dass die Stimmen der Toten nicht überhört werden können. Bosch nimmt ihn beim Wort, gräbt gewohnt tief – und fördert zu Tage, was mancher Zeitgenosse buchstäblich begraben glaubte und gern weiterhin begraben sähe. So beginnt der alte „High Jingo“-Tanz erneut, den Bosch mindestens ebenso liebt wie die Polizeiarbeit: der Kampf mit dem Apparat bzw. mit denen, die das System korrumpieren und unterminieren.
Die Randfiguren erleben neuerlich einen Wechsel. Bosch-Kumpel Edgar, der sich ihm in den Jahren als Privatdetektiv eng angeschlossen hatte, rückt in den Hintergrund. Kiz Rider, die weiblich, schwarz und lesbisch und auf diese Weise gleich dreifach diskriminierenden Attacken ausgesetzt ist, steht Bosch dagegen wieder zur Seite (soweit dies möglich ist; Bosch wird nie wirklich ein Teamspieler sein). Dieser Aspekt ist deshalb von Bedeutung, weil es in „Vergessene Stimmen“ auch um das hässliche Thema Rassismus geht. Bosch gerät tief in den Sumpf faschistoider „Kämpfer für ein weißes Amerika“, die in ihrer bornierten Bösartigkeit vor keinem feigen Anschlag auf alle, die nicht „arisch“ sind wie sie, zurückschrecken.
Viel Arbeit also für Harry Bosch. Nur halbwegs spöttisch nennt er sich einen „Missionar“ und „Kreuzritter“. In gewisser Weise ist er das wirklich. Dass er in dieser Rolle nicht lächerlich wirkt, verdankt er seiner Aufrichtigkeit, die verknüpft ist mit persönlichen Schwächen. Nach vielen Jahren ist in Bosch immer noch der Soldat, der voller Angst aber entschlossen in den Erdhöhlen des Vietcong um sein Leben kämpfte. Er wird es hoffentlich noch weitere Jahre bleiben.
Michael Connelly wurde 1956 in Philadelphia geboren. Der „Entdeckung“ der Bücher von Raymond Chandler verdankte der Journalismus-Student der University of Florida den Entschluss, sich selbst als Schriftsteller zu versuchen. Zunächst arbeitete Connelly nach seinem Abschluss 1980 für diverse Zeitungen in Florida. Er profilierte sich als Polizeireporter. Seine Arbeit gefiel und fiel auf. (2006 erschien eine Auswahl in Buchform unter dem Titel „Crime Beat. A Decade of Covering Cops and Killers“ – ein Werk, das übersetzt hoffentlich ebenfalls seinen Weg nach Deutschland findet.) Nach einigen Jahren heuerte die |Los Angeles Times|, eines der größten Blätter des Landes, Connelly an.
Nach drei Jahren in Los Angeles verfasste Connelly „The Black Echo“ (dt. [„Schwarzes Echo“), 958 den ersten Harry-Bosch-Roman, der teilweise auf Fakten beruht. Der Neuling gewann den „Edgar Award“ der „Mystery Writers of America“ und hatte es geschafft.
Michael Connelly arbeitet auch für das Fernsehen, hier u. a. als Mitschöpfer, Drehbuchautor und Berater der kurzlebigen Cybercrime-Serie „Level 9“ (2000). Mit seiner Familie lebt der Schriftsteller in Florida. Über das Connellyversum informiert stets aktuell die Website http://www.michaelconnelly.com.
Fantasy / Science-Fiction
8. Oktober 2006 Björn Backes
Dr. Cherijo Grey Veil, Tochter des angesehenen und berühmten Joseph Grey Veil, möchte nur noch fliehen. Weg von Terra, und vor allem weg von ihrem tyrannischen Vater, dessen Einfluss sie nicht mehr länger ertragen kann. Während eines Bar-Besuchs lernt sie den Piloten Dhreen kennen, der mit seinem Schiff alsbald nach Kevarzangia Zwei reist und anbietet, die junge Ärztin mitzunehmen. Cherijo willigt ein und startet gemeinsam mit ihrer Hauskatze Jenner auf dem Kolonieplaneten ein völlig neues Leben.
S. L. Viehl – Stardoc – Die Seuche (Band 1) weiterlesen →